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1918 - 1924: Der Aufschwung nach dem Krieg

Die Novemberrevolution

Anfang November 1918 stand die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg fest. Als die kaiserliche Flotte trotzdem zu einer letzten Seeschlacht auslaufen sollte, meuterten die Matrosen in Kiel gegen die Fortsetzung des Krieges. Der Aufstand breitete sich wie ein Flächenbrand innerhalb weniger Tage über Deutschland aus. In fast allen größeren deutschen Städten bildeten sich revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte und übernahmen die Macht. Am 9. November 1918 streikten und demonstrierten Hunderttausende in Berlin. Der Kaiser musste abdanken.

In dieser revolutionären Stimmung rief der SPD-Politiker Scheidemann die Republik aus, fast gleichzeitig verkündete Karl Liebknecht die "freie sozialistische Republik Deutschland".

Die alte Reichsregierung wurde durch den Rat der Volksbeauftragten abgelöst. Dieser bestand aus drei Politikern der Mehrheits-SPD und drei der linken Abspaltung USPD. Friedrich Ebert, Vorsitzender der SPD und Leiter der Zentralstelle für die Arbeitende Jugend, war einer von ihnen. Der Rat der Volksbeauftragten bildete die Übergangsregierung und musste den Wechsel vom Kaiserreich zur Demokratie bewältigen.

 

Parlament oder Räte?

In der Arbeiterbewegung standen sich zwei Meinungen gegenüber: Die SPD und der größere Teil der USPD wollte ein demokratisch gewähltes Parlament, das über Reformen die Rechte der Arbeiter auch in den Betrieben stärken sollte. Der Übergang zum Sozialismus sollte allmählich über Beschlüsse des Reichstags vollzogen werden. Die SPD hatte nie ein Konzept für die Umgestaltung der Gesellschaft ausgearbeitet und war sich deswegen über die jetzt nötigen Schritte hin zu einer sozialistischen Wirtschaftsform völlig unklar.

Ein anderer Teil der USPD mit dem Spartakus-Bund und den einflussreichen Revolutionären Obleuten strebte eine Räte-Regierung an. Arbeiter und Soldaten sollten ihre Delegierten in Räte schicken, die direkt die Umwandlung in ein sozialistisches Wirtschaftssystem verwirklichen sollten. Vorbild war das System in Russland, in dem die Bolschewiken im November 1917 die Macht übernommen hatten. Die deutschen Sozialisten kritisierten jedoch heftig, dass die Massen der Arbeiter dort zu wenig in die Entscheidungen einbezogen wurden.

 

Die SPD-Führung hatte Angst, die revolutionäre Entwicklung nicht mehr kontrollieren zu können und verbündete sich deswegen mit dem alten kaiserlichen Heer. Alle Aufstände und Streiks der Arbeiter wurden mit massiver Gewalt unterdrückt. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden bei Streiks und Straßenkämpfen in Berlin von Soldaten aufgespürt und ermordet. Der Aufstand wurde mit hunderten Toten niedergeschlagen.

Die Arbeiter- und Soldatenräte selbst folgten der Meinung der SPD-Führung. Bereits im Dezember 1918 entschieden sie sich gegen ein Rätesystem und für eine parlamentarische Demokratie. Die Gewerkschaften nutzten die Revolution, um den Unternehmern Abmachungen abzuverlangen. Diese erkannten jetzt die Gewerkschaften als Verhandlungspartner an und machten damit allgemein gültige Tarifverträge möglich.

Ein neuer Anfang für die Arbeiterjugend

Jugendliche erhalten Rechte

Gleich nachdem sich der „Rat der Volksbeauftragten“ gebildet hatte, beschloss er am 12. November 1918 wichtige Reformen im Arbeitsrecht. Dazu gehörte die Einführung des Achtstundentages und damit der 48-Stunden-Woche. Gleichzeitig wurde Jugendlichen erlaubt, sich zu Vereinen zusammenzuschließen. Das bisherige Verbot, sich politisch zu betätigen, fiel damit weg. Das Notgesetz vom 4. August 1914, mit dem der Jugendschutz außer Kraft gesetzt worden war, wurde aufgehoben. Das Züchtigungsrecht der Meister fiel. Das Wahlrecht für Frauen wurde beschlossen, so dass Frauen am 19. Januar 1919 erstmals in Deutschland wählen konnten.

In der Weimarer Verfassung, die am 11. August 1919 in Kraft trat, wurde das Wahlalter auf 20 Jahre herabgesetzt und die Fortbildungsschulpflicht bis zum 18. Lebensjahr eingeführt. Der Unterricht wurde auf die Tagesstunden der Wochentage verlegt und fand größtenteils in der Arbeitszeit statt. Viele dieser Errungenschaften wurden allerdings im Lauf der nächsten Jahre wieder zurückgenommen.

Die Sozialdemokraten waren nun nicht mehr die „vaterlandslosen Gesellen“ wie noch in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die aus allen Entscheidungen und gesellschaftlichen Bereichen ausgegrenzt waren. In den Monaten nach der Revolution waren sie die gestaltende Strömung der neuen Republik. Ohne sie ging gar nichts. Ihr Vorsitzender Friedrich Ebert wurde am 11. Februar 1919 zum Reichspräsidenten gewählt und war damit der oberste Mann im Staat. Viele Arbeitsstellen im öffentlichen Dienst, in Ämtern und Behörden wurden nun von Sozialdemokraten besetzt, davon kamen viele aus der Arbeiterjugendbewegung.

Das jugendliche Selbstverständnis: „Wir sind jung, die Welt ist offen!“

Arbeiterjugend in Muenchen 1920Für die Arbeiterjugendlichen war mit der Revolution eine völlig neue Situation entstanden. Die Beschränkungen ihrer Vereine fielen weg. Bei der staatlichen Förderung wurden sie den bürgerlichen Jugendvereinen gleich gestellt. Ihre Partei war zumindest bis Mitte 1920 die bestimmende Kraft. Deswegen kamen den Jugendlichen die Zukunftsaussichten sehr gut vor: über die demokratische Republik schien der Weg in die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft offen zu stehen.

Nach den Enttäuschungen des Krieges und der militaristischen Ausrichtung fast aller bürgerlicher Vereine wurde nun die Arbeiterjugend auch für junge Menschen aus anderen Schichten attraktiv. Gruppen von bürgerlichen Vereinen suchten nun Kontakt zur Arbeiterjugend und diskutierten mit ihnen über gemeinsame Ziele in den Bereichen Schule und Arbeitswelt. In die sozialistischen Jugendgruppen traten nun auch Jugendliche ein, die mit der Arbeiterbewegung nichts zu tun hatten. Diese legten mehr Wert auf das Erlebnis des Jungseins in Abgrenzung zu den Erwachsenen. Sie brachten die Erfahrungen der Wandervogelgruppen mit, die mit ihrem Auftreten nun zum Vorbild der Arbeiterjugend wurden.

Schon während des Krieges hatte sich die Kleidung auch bei der Arbeiterjugend gewandelt. Die Reformkleidung, also Hemden mit breitem, offenen „Schillerkragen“, kurze Hosen, Sandalen und einfache Kittel oder Hängekleider für die Mädchen, war nicht nur praktisch für die Wanderungen, sondern ebenso ein Ausdruck eines jugendlichen Gefühls.

VolkstanzwettbewerbMit der Verkürzung der Arbeitszeit hatten die Jugendlichen auf einmal deutlich mehr Freizeit, in der sie etwas erleben und die sie aktiv gestalten wollten. In ihren Gruppen versuchten sie, sozialistisches Zusammenleben zu üben. Dazu gehörte seit Beginn der Arbeiterjugendbewegung die Förderung der Gesundheit mit Wanderungen, Sport sowie dem Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Viele Jugendliche sahen dabei sich als Vorbild für die erwachsenen Arbeiter.

Es gab eine weitere Kritik an den „Alten“ in der Arbeiterbewegung. Diese forderten zwar öffentlich eine bessere, menschlichere Welt; viele bewiesen aber in ihrem Alltagsleben aber, dass sie innerhalb der Familie die gleichen Unterdrücker waren wie die Meister im Betrieb. Die Familien waren autoritär strukturiert, der Vater herrschte über seine Frau und seine Kinder. Die Lehrlinge wurden nicht nur vom bürgerlichen Meister, sondern auch vom proletarischen Gesellen schikaniert und geschlagen. Auch in den Versammlungen der SPD wurden die jungen Mitglieder oft nicht ernst genommen und verächtlich behandelt.

Anders als in den Vereinen der bürgerlichen Jugend stand der Generationenkonflikt bei der Arbeiterjugend aber nicht im Vordergrund. Trotz der Kritik an den „Alten“ kämpfte man für eine gemeinsame Sache: den Sozialismus. Die Einheit der Arbeiterbewegung und das Bekenntnis zur SPD und den Gewerkschaften war darum nie in Frage gestellt.

Der Neuaufbau

Im Mai 1919 fand in Berlin eine Konferenz der Bezirksleitungen statt, die eine neue Grundlage für den Verband schaffen sollte. Das hatte zwei Gründe: erstens waren alle Beschränkungen durch das Vereinsgesetz entfallen. Zweitens war zu den Zeiten der jugendbewegten Ideale ein von Erwachsenen kontrollierter Verband wenig attraktiv für Jugendliche.

Nun sollten sich die Jugendlichen in örtlichen Arbeiterjugendvereinen organisieren, die sich auf Bezirksebene zusammenschlossen. Die Arbeit der örtlichen Vereine sollte wie bisher den Schwerpunkt auf Bildung, Erziehung und Freizeitgestaltung legen. Die Teilnahme an parteipolitischen Kämpfen wurde abgelehnt, eine eigenständige, von der SPD unabhängige Interessensvertretung der Jugendlichen war nicht vorgesehen. Die Vorstände der Vereine sollten von gleich vielen gewählten Mitgliedern der Jugendlichen und gewählten Vertretern der Partei zusammengesetzt sein.

Relativ unberührt von den revolutionären Erschütterungen begann die systematische Aufbauphase der neuen Organisation, die jetzt „Verband der Arbeiterjugendvereine Deutschlands“, kurz VAJV, hieß. Nun wurde versucht, Vereine auf dem Land und außerhalb der großen Industriezentren ins Leben zu rufen. Die Zahl der Mitglieder stieg von ca. 25.000 am Ende des Krieges auf 40.000 ein Jahr später und kletterte weiter bis auf rund 90.000 im Jahr 1922.

Zunächst blieb die Organisation unter der Leitung der Parteifunktionäre. Erst 1921 wurde auf der Reichskonferenz ein Vertreter der Jugend zum Vorsitzenden gewählt: Max Westphal, damals knapp 26 Jahre alt, Jugendsekretär in Hamburg.

Das Erziehungs- und Jugendschutzprogramm

Die „Zentralstelle für die arbeitende Jugend“ forderte ein Reichsjugendgesetz. Damit sollten die vielen unterschiedlichen Regelungen der einzelnen Länder vereinheitlicht werden. Alle Vorschriften und Maßnahmen für Jugendliche sollten in einem einheitlichen Gesetz zusammengefasst werden.

Das „Erziehungs- und Jugendschutzprogramm der Arbeiterjugend“, das im Mai 1919 Reichsregierung und Nationalversammlung zugeleitet wurde, enthielt weitreichende Forderungen zu Schule und Sozialpolitik. Viele Forderungen sind bis heute nicht verwirklicht: der höchstens sechsstündige Arbeitstag, der bezahlte freie Nachmittag für Wandern, Schwimmen, Sport und Spiel sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen, die in allen Betrieben arbeiten sollten.

Die Nationalversammlung ignorierte dieses Programm. Die SPD-Mitglieder waren nicht bereit, die Forderungen offensiv zu vertreten. Auch der neue Vorsitzende der Zentralstelle, Heinrich Schulz, immerhin Unterstaatssekretär und Abgeordneter, erwähnte das Programm und die Forderungen in seinen Reden vor der Nationalversammlung nicht.

Der „Geist von Weimar“

Der erste Reichsjugendtag in Weimar

Der neue Sekretär August Albrecht hatte die Idee, ein reichsweites Zusammentreffen der Arbeiterjugend zu organisieren. Im Kaiserreich gab es bereits Bezirksjugendtage, aber noch nie einen Jugendtag für den gesamten Verband.

Das Jugendtreffen fand Ende August 1920 in Weimar statt, parallel zur ersten Reichskonferenz des neuen Verbandes der Arbeiterjugendvereine. Weimar galt als Stadt Schillers und Goethes, als deutsche Kulturstadt schlechthin. Der Termin wurde bewusst auf Goethes Geburtstag am 28. August gelegt. Außerdem war in Weimar im Jahr 1919 die Nationalversammlung zusammengetreten und Friedrich Ebert, der ehemalige Vorsitzende der Arbeiterjugendbewegung, zum Reichspräsidenten gewählt worden. „Weimar, das war der neue Volksstaat, Weimar, das war die seit Jahrzehnten ersehnte Demokratie (...), Weimar, das war der Beginn einer neuen Zeit“, schrieb Johannes Schult aus Hamburg, einer der Mitorganisatoren.

Zum ersten Reichsjugendtag kamen nur 2.000 der damals rund 50.000 Mitglieder angereist. Wenige Jugendliche konnten sich die teure Fahrt leisten. Viele Gruppen verbanden das Wochenende des Jugendtages mit Wanderungen in den Thüringer Bergen.

Das Treffen war eine bunte Mischung aus Kultur, Jugendbewegung und Politik. Der Vorsitzende Heinrich Schulz rief in seiner Eröffnungsrede: „Nicht nach Politik steht euch der Sinn, ihr wollt nur das Leben leben, das euch gemäß ist ... Es gilt in diesen Jahren nur den eigenen Menschen heranzubilden, wir wollen keinen Parteidrill für politische Zwecke, sondern wandern in den Gefilden der äußeren und inneren Welt, jung sein, froh und frei“. Lieder und Gedichte folgten. Erstmals wurde das Lied „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“ vorgetragen, das bereits 1914 gedichtet, aber bis dahin im Verband unbekannt geblieben war. Es wurde in den folgenden Jahren zum beliebtesten Lied der Arbeiterjugend.

Kranzniederlegung in WeimarAm Goethe-Schiller-Denkmal hängten die Jugendlichen den Dichtern einen großen Lorbeerkranz um. Die Anwesenden waren stolz darauf, dass sie, die bisher von Kultur Ausgeschlossenen, es waren, die als einziger Jugendverband Goethes Geburtstag in würdiger Weise zu feiern verstanden. Als in der darauf folgenden Nacht der Kranz von einer deutsch-nationalen Jugendgruppe gestohlen wurde, bastelten die Jugendlichen schnell ein großes schwarz-weiß-rotes Hakenkreuz zusammen, das sie vor dem Goethe-Schiller-Denkmal verbrannten.

Das Spielefest am Sonntag im Tiefurter Park stand ganz im Zeichen der Jugendbewegung. Wettbewerbe in Volkstanz und Gesang, Spiele und Musik bestimmten das Programm. Neben Szenen aus Schillers „Die Räuber“ wurde das extra für den Jugendtag geschriebene Stück „Spielmanns Schuld“ aufgeführt. Das Bemerkenswerte war, dass darin alle Anwesenden in das Geschehen mit einbezogen wurden und alle die Möglichkeit hatten, das Stück mit zu gestalten. Hier zeigten sich Vorstellungen von neuer, demokratischer Kultur, die aus der Kreativität aller Menschen entsteht und niemanden ausschließt.

Zwischen den Veranstaltungen wurde gesungen, gespielt, getanzt. „Stellt euch mal vor, da holen sie die Kinder zusammen und tanzen mit denen und die Alten gucken zu, wie die Jugend nun mit den Kindern tanzt. Da springt jemand auf einen Brunnenrand drauf, deklamiert nun Prometheus“ erinnerte sich fast 60 Jahre später Franz Osterroth, damals 20jähriger Teilnehmer.

Die Redner auf der Abschlusskundgebung waren erwachsene Funktionäre aus der Arbeiterbewegung. Sie vertraten die Meinung, dass mit der Republik die entscheidende Voraussetzung für den Sieg des Sozialismus in naher Zukunft gelegt worden sei. Die Demokratie sei von der alten Generation der Arbeiterbewegung geschaffen worden. Die Jugend habe nun die Pflicht zur Bildung und Ausbildung, um in Staat und Wirtschaft die Leitung zu übernehmen. Sie müsse die neue Gemeinschaft und neue Menschen schaffen. „Das wird nicht erreicht werden durch Wirkung in die Breite mit Mitteln der Agitation. Das gelingt nur durch strenge Zucht, die sich der einzelne auferlegt und die er überträgt auf den Kreis, in dem er lebt. Von solchen kleinen, festen Gemeinschaften strahlt dann die Kraft aus, die Kultur schafft“, meinte der Bauarbeiter und Dichter Karl Bröger aus Nürnberg. Diese neue sozialistische Kultur, die in den Jugendgemeinschaften entstehen sollte, würde sich ausdrücken in Gesang und Spiel, Wandern und Tanzen.

Eine Kundgebung gegen Krieg beendete den Jugendtag. Max Westphal aus Hamburg, der im Krieg seinen linken Arm verloren hatte, brachte mit seiner Rede die Sehnsucht der Jugendlichen auf einen Nenner: „Nie wieder Krieg!“.

Spiel, Tanz und Politik in der Arbeiterjugendbewegung

Obwohl nur ein kleiner Teil der Mitglieder in Weimar dabei war, breiteten sich die jugendbewegten Formen im Verband schnell aus, wenn sie nicht ohnehin schon praktiziert wurden. Reigen und Volkstänze, neue Lieder und Theaterstücke verbreiteten sich im ganzen Reich. Die Gruppenarbeit wurde attraktiver.

Für einen Teil des Verbandes war der Jugendtag ein wichtiger Schritt, um die Arbeiterjugend zu einer Jugendbewegung umzuformen, die nur zur Selbstverwirklichung dienen sollte. Weil sie an die Lebensweise der Jugendlichen hohe Ansprüche stellten, trat das Ziel zurück, möglichst viele Jugendliche zu organisieren. Diese Vorstellungen trafen auf heftigen Widerstand. Ostern 1921 trafen sich deswegen die Vorstände aus den Bezirken, um die politische und pädagogische Ausrichtung der Arbeiterjugendbewegung zu klären.

Man einigte sich schließlich darauf, dass die neuen Formen der Jugendbewegung mit den Inhalten der Arbeiterbewegung gefüllt werden sollten. Bildung und Aufklärung wollte man mit „echter Jugendlichkeit und starkem Gemeinschaftsgefühl“ verbinden. Der Verband sollte für möglichst viele Arbeiterjugendliche attraktiv sein, um sie mit erlebnisreichen Freizeitaktivitäten an die Gruppe zu binden. Die Unternehmungen wurden mit politischen Inhalten gefüllt. Beispielsweise wanderte man nicht mehr nur durch die Landschaft, sondern erfuhr beim „sozialen Wandern“ etwas über Geschichte, Kultur und soziale Situation der Bewohner in den durchwanderten Dörfern. Eine linke Minderheit versuchte vergeblich, die aktive Teilnahme am Klassenkampf ebenfalls zum Ziel der Arbeiterjugend zu erklären.

Wie sah die Arbeit praktisch aus? Max Reeß aus Augsburg erinnert sich fast 70 Jahre später an eine Werbeveranstaltung der Augsburger Arbeiterjugend, die er als 14jähriger Lehrling im Juni 1921 erlebte:

„Der Wiesenklub „Germania“ hat, weil es schon dunkel wird, das Fußballspiel beendet und sich lautstark über das Spiel am Samstag gegen den FC Stern unterhalten, das er beim letzten Mal nur unentschieden 2:2 halten konnte. (...)

Wir laufen schon gegen die Kirche zu, da sehen wir von weitem eine Menge junger Leute, Buben und Mädel. Sie bilden einen großen Kreis, umgeben von vielen Zuschauern. So zehn Musikanten sind dabei mit Fiedel, Mandoline und Gitarren. Ein fröhlicher Kreis! Sie singen, spielen und machen lustige Volkstänze. Es sind 60 bis 70 Jugendliche, die fast alle gleich angezogen sind. Mädels in Reformkleidern und die Burschen meist in kurzer Manchesterhose und in blauer Bluse. Ist es wohl ein Wanderverein?

Wir schauen dem fröhlichen Treiben lange zu und da entdecken wir unter ihnen Martin, unseren ehemaligen Schulfreund. Ihn rufen wir herbei und erfahren, dass es die Gruppen Oberhausen und Wertachvorstadt der Arbeiterjugend sind, die sich heute Abend hier trafen, um einen Lieder- und Tanzabend zu machen. Eben tanzten mindestens 16 Paare einen alten Bauerntanz. (...) Einige schöne Abendlieder, begleitet von den Musikanten, waren der Abschluss. Dann, die Musik voran, zogen sie alle im Marsch singend die Ulmerstraße hinein. (...)

Begeistert wanderten wir bis zur Wertachbrücke mit, wo sich der Zug auflöste. Der Gruppenleiter lud noch alle zum Heimabend am Donnerstag ein, der diesmal besonders interessant werden sollte.

Am Donnerstag gingen wir zur Gaststätte „Blumenschein“. Bei unserem Eintreffen waren schon viele Buben und Mädchen da. (...) Dann eröffnete ein 18-19jähriger Freund die Versammlung und begrüßte besonders uns, die wir an einem Tisch Platz genommen hatten. Er sagte, dass es ihn freuen würde, wenn wir uns in diesem Kreis wohlfühlen und an ihrer Arbeit Interesse haben würden. Dann gab er das Thema des Abends bekannt und begrüßte dazu besonders den Referenten Genosse Hauptlehrer Schorer, der über „Ferdinand Lassalle, der Führer der Arbeiterbewegung“ sprechen sollte. Zuerst wurde das Lied gesungen „Auf Sozialisten, schließt die Reihen!“ Dieses Arbeiterlied haben alle stehend gesungen und wir verfolgten aufmerksam den Text, der uns so viel vom Wollen und Streben dieser Jugend sagte. Dann trug ein Mädel im blauen Hemd ein Gedicht vor. Wir haben es später oft mit Begeisterung gesungen:

„Wohlan wer Recht und Freiheit achtet zu unsrer Fahne steh zuhauf! Wenn auch die Lüg‘ uns noch umnachtet, bald steigt der Morgen hell herauf!“

Breit und eindrucksvoll sprach sie die letzten Worte:

„Nicht zählen wir den Feind! Nicht die Gefahren all‘! Der Bahn, der kühnen, folgen wir, die uns geführt Lassalle!“

Nach einer kurzen Stille begann der Referent. Er schilderte das Leben und Wirken dieses großen Idealisten und Helfers der Arbeiter ....

Wir waren in uns gekehrt nach diesem Vortrag und es war schwer für uns, an diesem ersten Abend bei der Sozialistischen Arbeiterjugend alles so schnell in uns aufzunehmen. Dann stimmten sie das Lied an: „Brüder, zur Sonne zur Freiheit“.

Der offizielle Gruppenabend war zu Ende und es wurde noch bekannt gegeben, dass am Sonntag um 6 Uhr zu einer Tageswanderung in die Seehöhle aufgebrochen wird. Treffpunkt Wertachbrücke, alle sind eingeladen.

Wir erhielten noch jeder ein Monatsheft der „Arbeiterjugend“. Darin war auch das Monatsprogramm und ein Aufnahmeschein, den die meisten von uns sogleich unterschrieben.

Am Freitag spielten wir wieder unseren Fußball, aber das Spiel für Sonntag haben wir abgesagt, weil wir diese Gruppe auch am Sonntag auf froher Wanderung erleben wollten. Die Mutter musste noch eine kurze Hose zurechtmachen, um für die Fahrt gerüstet zu sein, auf die wir uns sehr freuten.“

Abschied von einem Traum: Der Sozialismus kommt nicht

Bereits 1919 und 1920 wurde die neue Republik in die ersten Krisen gestürzt. Dabei zeigte sich deutlich, dass die Reichswehr parteilich gegen alle sozialistischen Bestrebungen war. Am 13. März 1920 kam es zum rechtsradikalen Kapp-Putsch. Die Aufrührer wollten den demokratischen Staat beseitigen und das alte Kaiserreich wiederherstellen. Die Reichswehr reagierte nicht. Erst ein Generalstreik der Arbeiterbewegung ließ den Putsch innerhalb von wenigen Tagen zusammenbrechen. Anders verhielt sich das Militär im Kampf gegen linksradikale Aufstände in Berlin, Bremen, München, dem Ruhrgebiet und Sachsen-Thüringen. Gegen alle sozialistischen Putschversuche griff die Reichswehr ein und warf die Aufstände blutig nieder.

Die SPD verlor bereits im Juni 1920 ihre vorherrschende Stellung in der Weimarer Republik. Sie büßte innerhalb eines Jahres die Hälfte ihrer Wählerinnen und Wähler ein. Sie unterstützte jedoch die konservativen Parteien, damit nicht die Rechtsextremisten an die Macht kamen. Damit konnte sie ihre Mitglieder nicht zufriedenstellen, die eine sozialistische Politik erwarteten.

Marsch in MuenchenWirtschaftlich ging es zunächst aufwärts. Die Arbeitslosigkeit sank und die Löhne stiegen. 1923 begann jedoch eine heftige Wirtschaftskrise. Das Geld verlor in rasendem Tempo an Wert. Das Einkommen sank auf weniger als die Hälfte des Standes von 1913. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit. Besonders Jugendliche waren betroffen. Handwerksbetriebe gingen in Konkurs, die Lehrlinge standen auf der Straße. Viele Schulabgänger konnten erst gar keine Ausbildung beginnen. Nur wenige Jugendliche bekamen Arbeitslosenunterstützung. Im Winter 1923/1924 begannen die Sozialistische Arbeiterjugend und die Jugendorganisation der Freien Gewerkschaften mit Veranstaltungen zur Bildung und Unterhaltung für jugendliche Arbeitslose.

Als Maßnahmen gegen die Krise hob die Regierung einige der Arbeitsschutzgesetze auf, die nach der Revolution im November 1918 erlassen worden waren. Der Achtstundentag wurde abgeschafft. In der Folge mussten Jugendliche bis zu 60 Stunden pro Woche arbeiten, außerdem wurde die Zeit der Fortbildungsschule nicht mehr auf die Arbeitszeit angerechnet.

Im November 1923 versuchten die Nationalsozialisten in München an die Macht zu kommen. Das zeigte deutlich auf, dass sie in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich waren.

Neuer Druck auf die Arbeiterjugend

Die Arbeiterjugend hatte die Gewalt der Nazis schon vorher erfahren. Bereits am 24. Juni 1923 überfielen in München etwa 20 Nazis eine Gruppe der sozialistischen Jugend auf dem Heimweg von einer Sonnenwendfeier und prügelten auf sie ein. "Die anwesenden Schutzleute ließen die Hakenkreuzler ruhig gewähren und begnügten sich damit, auf die Arbeiterjugend loszuschimpfen" merkte die Zeitschrift "Arbeiter-Jugend" damals in ihrem Bericht an. Zwei Monate später überfiel ein Trupp von 25 Radfahrern mit Hakenkreuzabzeichen in Radeburg bei Dresden ein Kinderfest der Arbeiterjugend. Sie forderten, die roten Wimpel einzusammeln, und prügelten auf Jugendliche und Kinder ein. Polizeilicher Schutz war während der Vorfälle, wie der amtliche Bericht feststellt, merkwürdigerweise nicht vorhanden.

Auch die Behörden waren der Jugendorganisation nicht immer freundlich gesonnen. Schon 1920 gab es in Preußen Verordnungen, die Schülern die Mitgliedschaft in parteipolitischen Vereinen verboten. Sie galten nur für die Arbeiterjugend und wurden erst 1922 wieder abgeschafft. In Süddeutschland, vor allem in Bayern, wurde Schülern der Fortbildungsschulen die Mitgliedschaft in der sozialistischen Arbeiterjugend untersagt, das Verbot allerdings kaum kontrolliert.

Auch die Handwerksorganisationen blieben Gegner des Jugendverbandes. Nach wie vor versuchten einzelne Verbände, den Lehrlingen die Mitgliedschaft in der Arbeiterjugendorganisation zu verbieten. Vor Gericht hatten sie selten Erfolg, in einzelnen Regionen wie z.B. Ostpreußen konnte der Aufbau der Organisation jedoch behindert werden.

Die besseren Freizeitmöglichkeiten und der politische Aufbruch hatten bis 1923 die Arbeiterjugendorganisation attraktiv gemacht. Nun führten längere Arbeitszeiten, die Einschränkung  der Arbeit durch die Behörden und die Aussicht, dass der Sozialismus nun doch nicht in den nächsten Jahren am Horizont auftauchen würde, zu Mitgliederverlusten.

Die Freie Sozialistische Jugend

Die „Freie Sozialistische Jugend“ hatte sich Ende Oktober 1918, knapp zwei Wochen vor der Revolution, aus den oppositionellen antimilitaristischen Gruppen der sozialdemokratischen Arbeiterjugendbewegung gegründet. Am 22. und 23. Februar 1919 traf sie sich zur ersten Nachkriegskonferenz. Die Delegierten sahen ihre politischen Ziele am ehesten durch die Ende 1918 gegründete Kommunistische Partei vertreten, wollten aber organisatorisch eigenständig bleiben. Im Oktober 1919 wurde dies bestätigt und die Jugendlichen, die sich mit der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei solidarisierten, ausgeschlossen. Später wurde der Verband in „Kommunistischer Jugendverband Deutschlands“ (KJVD) umbenannt.

Die an der USPD orientierten Mitglieder gründeten am 14. - 16. Dezember 1919 einen neuen Jugendverband, der sich „Sozialistische Proletarierjugend“ (SPJ) nannte und 170 Ortsgruppen mit rund 10.000 Mitgliedern umfasste. Nach der Spaltung der USPD Ende 1920 teilte sich der Jugendverband ebenfalls; genau wie bei der Partei schloss sich der größere Teil den Kommunisten an. Der Schwerpunkt der verbliebenen SPJ lag nun in Sachsen und Thüringen. Dort fand auch Pfingsten 1921 der erste Reichsjugendtag der SPJ mit 2.000 Teilnehmern in Gera statt. Wie die anderen Jugendverbände konnte die SPJ deutlich an Mitgliedern gewinnen und hatte 1922 rund 15.000 Jugendliche organisiert.

Die SPJ wollte sich eigenständig und aktiv an den politischen Auseinandersetzungen beteiligen, besonders, wenn es sich um Jugendfragen handelte. Darin unterschied sie sich von der SPDJugendorganisation.

Ein neuer Verband: die Sozialistische Arbeiterjugend

Der Zusammenschluss der sozialistischen Jugendvereine

Als sich am 24. September 1922 die USPD mit der Mehrheits-SPD wieder vereinigt hatte, schloss sich am 29. Oktober 1922 auch der Verband der Arbeiterjugendvereine Deutschlands mit der Sozialistischen Proletarierjugend zur „Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands“ (SAJ) zusammen.

Die neuen Mitglieder aus der Sozialistischen Proletarierjugend waren bisher politisch viel aktiver gewesen und brachten dies in den neuen Verband ein. Das zeigte sich gleich in der Einleitung der neuen Satzung: „Der Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands erzieht seine Mitglieder im Geiste der sozialistischen Weltanschauung zu Kämpfern für die sozialistischen Ideale“. Zum ersten Mal tauchte das Wort „sozialistisch“ im Namen der Organisation auf. Weil sich zu dieser Zeit die Lebenssituation der Arbeiterjugend wieder verschlechterte, wurde die Forderung angenommen, proletarisches Klassenbewusstsein zu bilden und zum Kampf zu erziehen statt „planlose Aufklärerei“ zu betreiben.

Zu dieser Zeit erreichte die Zahl der Mitglieder den Höchststand: rund 105.000 Menschen gehörten der SAJ an. Im folgenden Jahr stoppte der Aufwärtstrend bei den Mitgliedern. Ab 1924 sanken die Zahlen wieder. Die Sozialistische Arbeiterjugend war nach wie vor eine Organisation, die nicht die Masse der Jugendlichen, sondern nur diejenigen mit Interesse, politischem Anspruch oder Ehrgeiz anzog. Diese Jugendlichen kamen oft aus sozialdemokratischen Familien. Nach wie vor waren vor allem Lehrlinge und Ausgelernte vertreten und ungelernte Arbeiter unterrepräsentiert. Diese gingen eher zum Kommunistischen Jugendverband.

Weil nun auch zu wenig junge Helferinnen und Helfer nachwuchsen, blieben die Älteren im Verband. Anfang 1924 waren bereits über ein Drittel der Mitarbeiter über der beschlossenen Altersgrenze von 18 Jahren. Für sie fand man eine Ausnahme: sie durften weiter als Leiter oder Helfer mitarbeiten, wenn sie das Vertrauen der Jugend genössen.

Der Ausbau der Organisation

Bis nach dem Ersten Weltkrieg konnte die Zentralstelle immer auf die Mittel der SPD und der Gewerkschaften zurückgreifen. Jetzt war die Arbeiterjugend organisatorisch selbständig und brauchte ein organisatorisches Rückgrat. 1921 wurde beim Büro des Hauptvorstandes eine Einkaufszentrale gegründet, von der die Gruppen ihre Wanderausrüstung, Spielgeräte, Werbematerial und Literatur beziehen konnten. Ein eigener „Arbeiterjugendverlag“ wurde geschaffen. Die Bücher und Broschüren reichten vom äußerst erfolgreichen Liederbuch über Wanderbücher, Schulungsmaterial, Texte von Laienspielen bis hin zu theoretischen Abhandlungen über die politischen und pädagogischen Ziele der Arbeiterjugendbewegung. Der Verband stellte nun auch mehr Sekretäre ein. 1924/1925 gab es in mehr als der Hälfte der Bezirke hauptamtliche Funktionäre, die teilweise von der SPD finanziert wurden.

1924 konnte nach großen finanziellen Anstrengungen und mit vielen Spenden ein Ferien- und Schulungsheim eingeweiht werden, das „Schloss Tännich“ in Thüringen. Es stand für zentrale Schulungsmaßnahmen des Verbandes zur Verfügung. In ein- oder mehrwöchigen Kursen ließ der Hauptvorstand Multiplikatoren ausbilden, die die erlernten Fähigkeiten an die Helferinnen und Helfer in den Bezirken weitergeben sollten.

Die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen

Im Juni 1919 gründete sich der Ausschuss der deutschen Jugendverbände AddJ, in dem sich alle Jugendverbände zusammenschlossen. Der Verband der Arbeiterjugendvereine Deutschlands arbeitete von Anfang an mit und stellte mit Erich Ollenhauer viele Jahre lang den stellvertretenden Vorsitzenden oder den Vorsitzenden. Hier brachte die Arbeiterjugend ihre Forderungen nach Jugendschutz, vor allem Arbeitszeitverkürzung, bezahlter Urlaub, Anrechnung der Berufsschulzeit als Arbeitszeit und Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit, ein. Der AddJ mit seiner Mehrheit von bürgerlichen Jugendverbänden übernahm die Forderungen fast vollständig und vertrat sie gegenüber dem Reichstag - allerdings ohne Erfolg. Immerhin zeigte sich, dass die einzige Partei, die mit den Jugendverbänden zusammenarbeitete und ihre Anregungen aufgriff, die SPD war.

Das sozialistische Jahr

Der Jahresablauf wurde nun gegliedert. Mit dem Eintritt ins Berufsleben waren die Jugendlichen „reif“ für die Arbeiterjugend. Schon einige Wochen vor der Schulentlassung, die immer zu Ostern erfolgte, wurden gezielt Veranstaltungen für die Schülerinnen und Schüler angeboten und Flugblätter verteilt. Die Neuen wurden nach der Osterwoche, in der die Werbeveranstaltungen intensiviert wurden, mit einer Feier begrüßt. Im Sommer standen vor allem attraktive Freizeitaktivitäten und Außenveranstaltungen wie Wandern, Spiele, Tanz und Sport auf dem Programm, um die Gruppen zusammenwachsen zu lassen. In der Winterarbeit sollten die dann gefestigten Gruppen an die Bildungsarbeit herangeführt werden. Jetzt traten vor allem Literatur und Diskussionsabende sowie Schulungsprogramme in den Vordergrund.

Feste zu Jahrestagen und Feiertagen spielten eine große Rolle. Man beging den Tag der Arbeit am 1. Mai, die Sonnenwendfeier am 21. Juni, den Revolutionstag am 9. November und Weihnachten. Das Programm der Feiern umfasste dabei meistens Musik, Spiele, Lieder und Theater und wurde in einer geplanten Reihenfolge den Gästen vorgetragen. Später kamen Sprechchöre dazu. Der Vorstand gab Broschüren heraus, wie diese Abfolge aussehen sollte. In den ersten Jahren nach dem Krieg war das Ziel, Jugendlichkeit und Frohsinn, Zuversicht und die Gemeinschaft der Gruppe auf den Festen erkennbar werden zu lassen. Erst in der wirtschaftlichen Krise des Jahres 1923, als die Errungenschaften der Revolution wieder abgeschafft wurden, wurden auch die Feste kämpferischer. Nun stand nicht mehr die frohe Jugendgemeinschaft, sondern die Solidarität der Arbeiterklasse im Mittelpunkt.

Mädchen in der Arbeiterjugend

Maedchengruppe in HannoverDie Erziehung der Arbeitermädchen war noch stark vom traditionellen Frauenbild geprägt. Sie wurden zur Hausfrau und Mutter erzogen. Ausbildungsplätze waren im Handwerk den Jungen vorbehalten. Nur in Angestelltenberufen konnten auch Mädchen eine Lehre machen. Die Arbeiterbewegung stand für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein, meinte aber, dass diese erst in der sozialistischen Gesellschaft verwirklicht werden könnte. In der sozialistischen Jugendgruppe sollte aber die Möglichkeit sein, das gleichberechtigte Zusammenleben einzuüben.

Die Gemeinschaftserziehung wurde von den Kirchen bekämpft. Um jeden Vorwurf von sexuellen Ausschweifungen zu vermeiden, stand in den Gruppen die Kameradschaftlichkeit und Sittlichkeit im Mittelpunkt. Pärchenbildungen wurden nicht gern gesehen, auch weil dies das Gruppenleben störte. Andererseits waren die Gruppen für die Jugendlichen die einzige Möglichkeit, mit dem anderen Geschlecht in Kontakt zu treten, denn die Schulen waren nach Jungen und Mädchen getrennt. Natürlich verliebten sich die Jugendlichen auch ineinander. Sexuelle Bedürfnisse sollten aber beherrscht und erst in späterem Alter ausgelebt werden. Trotzdem hatten einige Eltern Angst, dass „etwas passieren“ könnte und ließen ihre Mädchen nicht mit auf die Fahrten und Lager.

Zur Unterstützung der sexuellen Aufklärung erschien 1924 die Broschüre des Arztes Max Hodann mit dem Titel „Bub und Mädel“. Die Gegner der Arbeiterjugend machten ihr heftige Vorwürfe, aber das tat der Beliebtheit der Broschüre keinen Abbruch. Aufklärungsmaterial gab es damals nicht und die Eltern freuten sich oft, wenn sie die unangenehme Aufgabe der Information an die Jugendgruppe abgeben konnten.

Etwa ein Drittel der Mitglieder war weiblich. Die Mädchen behielten in den Gruppen weitgehend ihre gesellschaftliche Rolle bei. In den Diskussionen waren sie passiver. Auf Konferenzen waren sie wenig vertreten. Um mehr Mädchen in den Verband zu bekommen und Mädchengruppe in Hannover, 1920 ihre Rolle zu stärken, wurde eine Werbebroschüre für Mädchen herausgegeben. Mädelabende, Bezirksmädelkurse und Bezirksmädelkonferenzen sollten den weiblichen Mitglieder ermöglichen, sich ohne die Jungen zu besprechen. Aber auch in der Arbeiterjugend schrieb man den Mädchen bestimmte Eigenschaften zu wie zum Beispiel Einfühlsamkeit und Mütterlichkeit.

Die Reichsjugendtage von Bielefeld und Nürnberg

Die Jugendtage blieben Markenzeichen des Verbandes. Sie dienten einerseits dazu, die Stärke, die Ziele und die praktische Arbeit des Verbandes nach außen zu präsentieren. Andererseits konnten die einzelnen Gruppen sich treffen und voneinander lernen.

In Bielefeld fand im Jahr 1921 der 2. Jugendtag mit 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Die Bielefelder Arbeiterschaft unterstützte die Veranstaltung: in mehreren Fällen legten ganze Belegschaften die Arbeit nieder, um an der Eröffnungsveranstaltung des Jugendtages teilnehmen zu können. In einigen Fabriken zogen die Arbeiter die rote Fahne auf. Die auswärtigen jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden in den Wohnungen von Bielefelder Arbeiterfamilien Unterkunft. Das neue Erlebnis war die Solidarität der ganzen Arbeiterbewegung mit ihrer Jugend.

Am Abend des ersten Tages formierte sich ein Zug von 10 000 Jugendlichen, der durch Bielefelds Straßen hinauf zur Sparrenburg zog. Auf der Burg und um sie herum tanzten, musizierten, sangen und rezitierten die Jugendlichen. Ein langer Fackelzug bewegte sich am Abend zum Schillerplatz vor das Rathaus. Die Abschlusskundgebung stand im Zeichen der internationalen Solidarität der arbeitenden Jugend mit Delegationen aus den Niederlanden, Dänemark und Schweden.

Zwei Jahre später kamen in Nürnberg beim 3. Jugendtag rund 45.000 Mitglieder der SAJ zusammen. Das war der halbe Verband! Wieder gab es zahlreiche kulturelle Vorführungen. Unter anderem wurden Sprechchöre auf einer Freilichtbühne aufgeführt. Höhepunkt des Jugendtages war eine Verfassungsfeier zum Jahrestag ihrer Verabschiedung am 11. August. Die Teilnehmer und viele Nürnberger Arbeiter versammelten sich auf der Deutschherrenwiese an der Pegnitz. Von dort zog man durch die Stadt zum Luitpoldhain. Fast 200.000 Menschen  nahmen an der Schlusskundgebung teil, und mit einem Fackelmarsch rund um den Dutzendteich ging der Arbeiterjugendtag zu Ende. Gerade in Nürnberg zeigte sich ein deutlich kämpferischeres Auftreten der Jugendlichen als auf den vorherigen Treffen. Spontan und entschlossen gingen sie gegen nationalsozialistische Störtrupps vor.