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 1919 - 1924: Die Gründung der Kinderfreunde

Arbeiterkinder in Deutschland

Familie in EssenArbeiterkinder in Deutschland lebten im Elend. Schon als Ungeborene litten sie unter der körperlich anstrengenden Arbeit ihrer Mutter in der Fabrik und im Haushalt. Oftmals waren sie bereits bei ihrer Geburt unterernährt. Nach der Geburt konnten sie wegen der Berufstätigkeit der Mütter nicht gestillt werden

und bekamen Flaschennahrung. Krankheiten wie Tuberkulose waren in der Arbeiterschaft weit verbreitet. Die Arbeiterfrauen waren froh, wenn sie ihre Familien satt bekamen, doch das gelang nicht immer. Hunger war in vielen Familien an der Tagesordnung. Das wurde schlimmer, wenn der Vater einen Teil des Lohnes in die Kneipe brachte.

Zum Hunger kam die Wohnungsnot. Mitte der Zwanziger Jahre waren etwa eine Million Menschen in Deutschland ohne Wohnung. In den kleinen Arbeiterwohnungen lebten oft kinderreiche Familien, so dass zehn oder zwölf Personen in einer Zwei- oder Dreizimmerwohnung nicht ungewöhnlich waren. Viele Kinder hatten kein eigenes Bett, sondern mussten es sich mit den Eltern oder Geschwistern teilen. Toiletten gab es im Treppenhaus oder auf dem Hof, Bäder gar nicht. In der Küche wurde gekocht, gegessen, gearbeitet und gelebt. Hier wusch und nähte die Mutter, hier machten die Kinder Hausaufgaben, hier spielten die kleinen Geschwister.

Den Kindern blieb kaum Freizeit. Neben der Schule und den Schulaufgaben halfen sie im Haushalt. Oft mussten sie mehrere Stunden täglich einkaufen, kochen, putzen, Kohlen tragen, Geschirr spülen, auf die Geschwister aufpassen oder Schuhe putzen.

Viele Arbeiterkinder mussten darüber hinaus etwas zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. In Deutschland wurde zwar 1903 die Arbeit für Kinder unter 12 Jahren gesetzlich verboten. Das galt aber erstens nur für Kinder, die nicht der eigenen Familie angehörten, und zweitens wurde das Gesetz kaum kontrolliert. Verstöße dagegen waren die Regel. Kinder trugen vor der Schule Zeitungen, Milch oder Brötchen aus. In der Landwirtschaft oder in Heimarbeit halfen sie ihren Eltern bei der Arbeit. Rechte wie die erwachsenen Proletarier hatten die Kinder nicht, also z.B. weder das Recht zu streiken noch das Recht ihren Lohn auszuhandeln.

In der Familie wurde die Unterdrückung des Betriebs meistens nachgeahmt. Der Vater war der Herrscher, dem niemand widersprechen durfte. Dann kam die Mutter, dann die älteren Geschwister. Die Kinder lernten vor allem, zu gehorchen. Prügel waren ein gängiges Erziehungsmittel. Die älteren Geschwister - meist die Mädchen - erzogen die jüngeren.

Die Familienväter merkten anscheinend den Widerspruch nicht, im Betrieb als Sozialdemokrat und Gewerkschafter solidarischer Genosse zu sein, im politischen Kampf die Gleichberechtigung der Frauen zu fordern und zu Hause den absoluten Herrscher zu spielen. „Das große, das einzige Ideal des Proletariats, das sozialistische Ideal, ist ständig außer Haus. In der Versammlung, bei der Wahl, bei der Demonstration, bei der Maifeier, überall, nur nicht dort, wo die kleinen Klassengenossen heranwachsen. Überall, nur nicht in der Familie. Kein Ideal durchweht die proletarische Familie, am allerwenigsten das Ideal des menschheitsbefreienden Sozialismus“ zog Otto Felix Kanitz, einer der bekannten sozialistischen Pädagogen Österreichs, als Fazit.

Es gab natürlich auch Tage, wo die Familie anders lebte, z.B. bei den Sonntagsausflügen ins Grüne oder wenn die Mutter oder der Vater mit den Kindern spielte. In den sozialdemokratischen Familien gingen die Kinder mit zu Demonstrationen oder Festen der Arbeiter. Der Alltag hingegen war in den meisten Fällen nicht von solidarischem Zusammenleben, sondern von Recht- und Wehrlosigkeit der Kinder geprägt.

Arbeiterkinder gingen in die Volksschule. Für die Mittelschule musste man Schulgeld bezahlen, man brauchte ordentliche Kleidung und musste Platz und Ruhe für die Schulaufgaben finden. Die Aussage von Klara Zetkin aus dem Jahr 1904 stimmte noch weitgehend: „Wir haben Bildungsanstalten der verschiedensten Art und sehen dieselbe geteilt in billige und schlechte für die Kinder des werktätigen Volkes und solche, die besser und teurer sind und deshalb den werktätigen Massen verschlossen bleiben.“ Die Volksschule brachte den Kindern Auswendiglernen, Gottesfurcht und Gehorsam bei. Der tägliche Religionsunterricht fand großteils in der ersten Schulstunde statt und bestand aus Beten und dem Lernen der biblischen Geschichten. Im Geschichtsunterricht hörten die Kinder nur von Kaisern, Königen und Fürsten. Der Turnunterricht war autoritär mit Strammstehen und Kommandos. Die Schulklassen waren überfüllt, 50 Kinder keine Seltenheit. Prügel waren gängiges Erziehungsmittel im Gegensatz zu den höheren Schulen, wo sie verboten waren. Die Schule hatte eindeutig die Funktion, angepasste, autoritätshörige und sich minderwertig fühlende Arbeiter heranzuziehen.

Der Anfang der Kinderfreundebewegung

Die ersten Gruppen

In Graz gründete 1908 der Tischler Anton Afritsch die erste Kinderfreundegruppe. 1911 entstanden auch in Wien Gruppen und 1917 wurde der „Reichsverein der Kinderfreunde“ mit immerhin schon 32 Ortsgruppen damals noch gegen den Willen der Österreichischen Sozialistischen Partei und der Gewerkschaft gebildet. Erst 1922 erkannte die SPÖ die Kinderfreundearbeit auch als ihre Aufgabe an und unterstützte die Organisation.

In Deutschland gab es - neben den Kindergruppen der Arbeiterturnerverbände - sozialdemokratische Eltern, die bereits vor dem Krieg gemeinsam mit ihren Kindern Spielnachmittage, Feste und Wanderungen veranstalteten. An einigen Orten gründeten sich Vereine. 1912 begann in Hamburg der „Ausschuss zur Förderung der Jugendspiele“ mit Spielen, Bastelarbeiten und Wanderungen für Kinder. Sie gründeten eine Leihbücherei für Kinder und organisierten Ferienfahrten. Ende 1919 gründete sich der „Verein Arbeiterjugendhilfe“ in Stuttgart, Anfang 1921 die „Vereinigung proletarischer Kinderfreunde, Abt. Berlin“, in der zunächst alle drei Arbeiterparteien SPD, USPD und KPD vertreten waren. Auch in Essen, Braunschweig, Altona, Bremen, Gera, Bielefeld, München, Mannheim, Kiel und an weiteren Orten entstanden Gruppen.

Kurt Löwenstein: Schulreform und Kinderfreunde

Kurt Löwenstein war einer von mehreren sozialistischen und kommunistischen Pädagogen, die 1919 nach der Revolution auch das Bildungswesen komplett umgestalten wollten. Nach seinen Vorstellungen sollte es eine sozialistische Einheitsschule für alle Kinder geben, selbstverständlich ohne Religionsunterricht. Alle Konfessionen und beide Geschlechter sollten gemeinsam unterrichtet werden. Für die kommende sozialistische Gesellschaft sollte die Trennung von Lernen, Spielen und Arbeiten aufgehoben werden. Die Schulkinder sollten ihrem Können und Interesse entsprechend die Betriebe der erwachsenen Arbeitern kennenlernen und gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten ausführen. Diese Pläne trafen auf heftigen Widerstand der katholischen Zentrumspartei, mit der die SPD in einer Koalitionsregierung saß. Sie wollte den Einfluss der Kirche auf die Schule erhalten. Bereits auf der Reichsschulkonferenz 1920 und dem Görlitzer SPD-Parteitag 1921 wurde klar, dass die SPD in diesem Punkt den verbündeten bürgerlichen Parteien nachgab und keine sozialistische Schulpolitik einforderte. Die Volksschulen blieben Ländersache und wurden nur vorsichtig reformiert.

Löwenstein selber wurde zwar zum Oberstadtschulrat von Groß-Berlin gewählt, dem Zusammenschluss der Stadt Berlin mit umliegenden Städten und Gemeinden mit einer Bevölkerung von über 4 Millionen Menschen. Nach heftigen Protesten von rechtsgerichteten Parteien und Schülern der „Höheren Lehranstalten“ bestätigte der preußische Oberpräsident diese Wahl nicht. So blieb Löwenstein nur das Amt eines Stadtrates für das Volksbildungswesen in Berlin-Neukölln. Hier versuchte er, sein Schul- und Erziehungsprogramm im Kleinen umzusetzen: so wurden weltliche Schulen eingerichtet, Schulgelder in den höheren Schulen nach dem Einkommen der Eltern gestaffelt, Arbeiter- biturientenkurse, Schulkindergärten und Gartenarbeits-Schulbetriebe eingerichtet und Schulspeisungen eingeführt.

Kurt Löwenstein wurde schon 1920 in den Reichstag gewählt und war Sprecher der SPD für die Erziehungspolitik. Aber schnell musste er erkennen, dass seine Vorstellungen von sozialistischer Erziehung in der Schule politisch nicht durchzusetzen waren. Deshalb wurde er bereits 1920 in der Berliner Kinderfreundebewegung aktiv. In diese Bewegung, die bis dahin meist nur fürsorgerischen Charakter hatte, übertrug er die Ideen der sozialistischen Erziehung.

Die Gründung der Reichsarbeitgemeinschaft

Kinder in Hamburg 1922Nachdem sich die USPD mit der Mehrheits-SPD im Jahr 1922 wieder vereinigt hatte, konnte die deutsche Kinderfreundebewegung auf eine gemeinsame Grundlage gestellt werden. Die SPD wollte die überall entstehenden verschiedenen Elternvereine und Kindergruppen zu einer einheitlichen Organisation zusammenfassen. Das war auch im Sinne der 54 einzelnen Vereine bzw. Ortsgruppen, die sich schon in einigen Regionen, z.B. Berlin, Norddeutschland, Süddeutschland oder Thüringen, zu größeren Verbänden zusammengetan hatten. Heinrich Schulz, langjähriges Vorstandsmitglied und ehemaliger Vorsitzende der Arbeiterjugend und nun Leiter der Abteilung Kultur- und Bildungsfragen beim SPDParteivorstand, lud zur Gründung einer reichsweiten Organisation am 13.11.1923 ein. Wie bereits bei der Gründung der „Zentralstelle der arbeitenden Jugend“ im Jahr 1908 arbeiteten verschiedene sozialdemokratische Organisationen mit: der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund ADGB, der Hauptausschuss der Arbeiterwohlfahrt, der SPD- Parteivorstand, das Zentralbildungssekretariat der SPD, der Verband sozialdemokratischer Lehrer, die Sozialistische Arbeiterjugend und die Arbeitsgemeinschaft der Berliner Kinderfreunde.

Die neue Organisation nannte sich „Reichsarbeitsgemeinschaft der  Kinderfreunde“, Vorsitzender wurde der Reichstagspräsident Paul Löbe.

Am 2. und 3. August 1924 wurde auf der Reichskonferenz in Leipzig die Satzung verabschiedet und ein Vorstand gewählt. Die Kinderfreundebewegung wurde als eigenständige Organisation mit selbständigen örtlichen Erziehungsvereinen bestätigt. Damit erklärte sich die SPD nur einverstanden, weil zum einen die bei der Gründung beteiligten sozialdemokratischen Verbände Sitz und Stimme in den Vorständen der Reichsarbeitsgemeinschaft erhielten und weil zum anderen festgelegt wurde, dass die Funktionäre der Kinderfreunde Mitglied in der SPD oder einer sozialdemokratischen Jugendorganisation sein müssten. Kurt Löwenstein und der Berliner Richard Weimann, der zugleich Sekretär des Zentralbildungsausschusses der SPD war, wurden zu Vorsitzenden gewählt.

Bis zum vorläufigen Ende der Kinderfreundebewegung in Deutschland blieb Kurt Löwenstein ihr Vorsitzender. Er verfasste die theoretischen Schriften und steuerte wichtige Anregungen für die Praxis bei.

Kämpfer der Zukunft

Die Ziele der Kinderfreundebewegung

Die Kinderfreundebewegung wollte ihren Teil zum Kampf für den Sozialismus leisten. Kurt Löwenstein schrieb:

 „Unsere Kinder werden entweder Opfer im Kampfe um die werdende Gesellschaft oder sie werden Träger dieser Gesellschaft sein. Wahrscheinlich werden sie beides sein, so wie wir beides sind. Aber von ihrer Erziehung hängt es ab, wie weit sie Opfer, wie weit sie Träger dieser geschichtlichen Entwicklung werden. Darum sagen wir: Die Kinder des Proletariats gehören schon heute nicht mehr nur der Familie, sie gehören der gesamten Klasse, und die Arbeiterklasse hat dafür zu sorgen, dass die Bourgeoisie uns unsere Kinder nicht raubt. Die Bourgeoisie raubt uns unsere Kinder. Jedes hungernde, frierende Kind, jedes Kind, das von der Tuberkulose heimgesucht wird, jedes ausgebeutete Kind ist ein Raub der Bourgeoisie an der Arbeiterklasse. Jedes Kind, das im Geist der bürgerlichen Weltanschauung heranwächst, jedes Kind, dessen Hoffen und Sehnen sich in der Ergebenheit an die Mächte der Vergangenheit verliert, ist ein Verlust im Klassenkampf. Darum muss die Arbeiterklasse aktiv werden in der Wahrnehmung ihrer heiligsten Interessen. Darum muss die Arbeiterklasse bestimmenden Einfluss gewinnen auf das Wachstum ihrer Kinder. Das ist auch der tiefere Sinn der Kinderfreundebewegung.“

Wie sah dieser Kampf aus?

Erst einmal war die Form der Gruppe etwas Besonderes. Mädchen und Jungen waren in der gleichen Gruppe. Die Erwachsenen waren keine gelernten Pädagogen, sondern Arbeiterinnen und Arbeiter, die außerdem in anderen Organisationen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung aktiv waren. Sie waren nicht „Führer“ oder „Leiter“ der Gruppen, sondern „Helferinnen und Helfer“. Diese Bezeichnung und die Anrede „du“ zeigte die Gleichberechtigung zwischen Kindern und Erwachsenen. Die monatliche „Zausestunde“, in der die Kinder sich gegenseitig genauso kritisieren konnten wie den Helfer oder die Helferin bewies, dass niemand Privilegien hatte.

Durch Selbstorganisation in den Gruppen wurde die Erziehung zur Demokratie gefördert. Zwar verteidigten die Kinderfreundehelfer die Weimarer Republik gegen ihre Gegner, aber selbst hatten sie viel weitergehende Ziele. Diese erweitere Form von Demokratie versuchten sie auf die Kindergruppen zu übertragen. In dem Bewusstsein, dass man Demokratie nicht theoretisch lernen, sondern nur praktisch erfahren kann, wurden in den Kindergruppen viele organisatorische Funktionen und verantwortliche Aufgaben an Gruppenmitglieder übertragen, die dafür von den Kindern gewählt wurden. In den Gruppen der acht- bis zehnjährigen Kinder wurde das kaum praktiziert, bei den Älteren sollten aber die Helfer im Gruppenleben immer mehr in den Hintergrund treten und den Kindern damit die Selbstverwaltung ermöglichen.

Lernen, Spielen und Arbeiten gehörten für die Kinderfreunde zusammen. Sie wollten, dass die Kinder in gesellschaftlich wichtige Aufgaben hineinwüchsen. An den Anforderungen des Lebens sollte gelernt werden, aus den praktischen Bedürfnissen heraus entstanden Arbeitsaufgaben. Die Verantwortung für das gemeinsame Eigentum der Gruppe sollte die Achtung vor dem Wert der Gegenstände bewirken, die aus menschlicher Arbeit entstanden waren.

Die Arbeiterkinder sollten den Sozialismus lieb gewinnen und sich mit den Symbolen der Arbeiterklasse identifizieren. Die rote Fahne, die sozialistischen Feiertage, die Kampflieder sollten in ihnen das Bewusstsein wecken, einer starken Bewegung anzugehören. Damit war das Ziel verbunden, stolz darauf seinnzu können, ein Arbeiterkind zu sein. Vor dem Hintergrund der Unterdrückung und Missachtung in der Schule sollte dieser Stolz das gemeinschaftliche Selbstbewusstsein der Kinder stärken.

Das zeigten die Kinder auch in der Öffentlichkeit. Sie verbanden ihre Wanderungen oft mit Werbeaktionen. Wenn sie in Dörfer oder Städte kamen, in denen es noch keine Gruppen gab, holten sie die  Kinder zusammen, sangen und spielten mit ihnen und klärten sie über die Kinderfreunde auf.

Die Helferinnen und Helfer hielten die Kinder von der Parteipolitik fern. Einerseits lag das daran, dass diese aktuelle Tagespolitik von den Erwachsenen sehr unterschiedlich bewertet wurde und innerhalb der Organisation zu heftigen Konflikten hätte führen können. Die kommunistischen Kindergruppen dagegen nahmen an den Kämpfen ihrer Partei teil. Das bewerteten die Kinderfreunde als „Dressur“, die dem Entwicklungsstand der Kinder nicht gerecht würde.

Politik fand in den Gruppen dennoch statt. Wenn die Kinder Arbeiterlieder sangen, wurde über die Texte gesprochen. Wenn sich die Kinder an den Demonstrationen der Arbeiterbewegung zum ersten Mai oder zum Verfassungstag am 11. August beteiligten, ging es in der Gruppenstunde um die Bedeutung dieser Tage. Spiele wurden nicht nur aus dem Blickwinkel ausgewählt, dass sie die Gemeinschaft förderten, sondern es gab auch Spiele mit sozialistischen Inhalten, z.B. Geländespiele über die Bauernkriege oder die Zeit der Sozialistengesetze. In den Gruppen wurde viel vorgelesen, meist aus Büchern mit Geschichten über den Kampf der Arbeiter. Daraus entwickelten die Gruppen manchmal Theaterspiele, welche die Kinder bei Veranstaltungen aufführten.

Ein herausgehobenes Ziel war die Erziehung der Kinder zu internationaler Solidarität und gegen Militarismus. In den Gruppen wurden Antikriegslieder gesungen. Da in den Schulen Frankreich immer noch als Feind dargestellt wurde, musste auch diese Ideologie in den Gruppen bekämpft werden. Vor allem durch die Zeltlager, in denen Gastgruppen aus anderen Ländern eingeladen wurden, konnte praktische internationale Solidarität erlebt werden.

Die Struktur der Kinderfreundebewegung

Die Ortsgruppen der Kinderfreunde bestanden meistens aus drei Teilen:

1. Der Kinderkreis bestand aus den Gruppen zu etwa 20 bis 30 Kindern, die wiederum in Horden von 8 - 10 Personen unterteilt wurden. Die Kinder trafen sich mehrmals wöchentlich in Schulen, Struktur der KinderfreundeJugendhäusern, Wirtschaften oder eigenen Kinderfreundeheimen, dazu kamen Wochenendausflüge. In den Anfangsjahren waren die Gruppen altersgemischt, bevor sie später in die Altersgruppen der 6- 10jährigen „Küken“ oder „Nestfalken“, 10-12jähigen „Jungfalken“ und 12-14jährigen „Roten Falken“ eingeteilt wurden. Alle Kinder einer Ortsgruppe trafen sich in der Vollversammlung oder - bei besonders großen Vereinen - im Kinder- oder Falkenparlament.

Die Kinder waren in erster Linie Arbeiterkinder, die von ihren sozialdemokratischen Eltern in die Gruppen geschickt wurden. Die SPD machte auf ihren Versammlungen Werbung für die Kinderfreundegruppen, aber längst nicht alle Genossinnen und Genossen folgten diesen Aufrufen. Viele schickten ihre Kinder in bürgerliche oder religiöse Vereine. Zu diesen Kindern aus sozialdemokratischen Elternhäusern kamen auch deren Freundinnen und Freunde und andere, die sich für diese Gruppen interessierten.

2. Der Helferkreis war ein pädagogisches Gremium, das einerseits die Arbeit organisierte und andererseits die pädagogischen Praxis aufarbeitete und damit seine Mitglieder schulte. Neben der Arbeit mit der Gruppe mussten Kinderfeste und Demonstrationen vorbereitet, Wochenendfahrten geplant und der Kontakt zur SPD gehalten werden. Viele Helferinnen und Helfer konnten das nur leisten, weil sie arbeitslos waren und weil ihre Partnerin oder ihr Partner ebenfalls in der Bewegung mitarbeitete.

In der Gründungsphase waren sozialdemokratische Eltern, Lehrerinnen oder Lehrer die Helferinnen und Helfer. Später kamen immer mehr Jugendliche aus der SAJ dazu, die oft nach ihrer aktiven Zeit in der Jugendbewegung lieber Helfer und Funktionäre des Kinderverbandes wurden als in der Partei Ämter zu übernehmen. Die Jüngeren stellten im Allgemeinen die politischen Ziele der sozialistischen Erziehung stärker heraus und unterstellten den Erwachsenen, sie würden nur fürsorgerisch arbeiten. Das führte in einigen Kinderfreundevereinen zu Konflikten und zur Verdrängung der Älteren.

Neben der Theoriezeitschrift „Sozialistische Erziehung“ diente die Zeitung „Der Helfer“ der praktischen Arbeit. Hier veröffentlichte die Reichsarbeitsgemeinschaft Gruppenstundenprogramme, Spiele, Literaturtipps, Texte und vieles mehr, was für die Gruppenarbeit praktisch nutzbar war.

3. Im Elternkreis waren die Eltern der Gruppenkinder und Sympathisanten zusammengeschlossen. Er sollte die Eltern über die Ziele und die Praxis der Gruppenarbeit unterrichten und Einfluss auf die Erziehung in der Familie bewirken. Außerdem sollten die Mitglieder der Erziehungsvereine die Arbeit der Gruppen finanzieren und nach Möglichkeit selbst in der Arbeit aktiv werden. Obwohl die Kinderfreunde es wichtig fanden, dass die Eltern ihre Arbeit unterstützten und zu Hause fortführten, gelang es vielen Gruppen nicht, Elternkreise zu gründen.

Der Siegeszug der Kinderfreunde

Entwicklung der KinderfreundeNach der Gründung der Reichsarbeitsgemeinschaft schlossen sich die vielen bereits bestehenden Kindergruppen an, die es im Umfeld der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung gab. Naturfreunde, Arbeiterbildungsvereine und unabhängige Gruppen, die eher dem Wandervogel oder den Pfadfindern nachempfunden waren, traten der Reichsarbeitsgemeinschaft bei. Innerhalb weniger Jahre wurde die Kinderfreundebewegung in Deutschland zu einer großen und wichtigen Bewegung. Ende 1930 wurden in der Kinderfreundestatistik 780 Ortsgruppen mit 120.000 Kindern in 4.700 Gruppen aufgeführt. Zu den 8.000 ständigen Helferinnen und Helfern kamen 2.000, die gelegentlich mitarbeiteten sowie 70.000 Erwachsene in Elternkreisen. Bis Ende 1932 stieg die Zahl der Ortsgruppen auf 1.101.