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1914 - 1918: Anpassung und Widerstand - die Arbeiterjugend im Ersten Weltkrieg

Die Arbeiterbewegung am Beginn des Ersten Weltkrieges

Das Deutsche Reich rüstet auf

Deutschland war in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zum wirtschaftlich stärksten europäischen Staat geworden. Große Konzerne hatten sich gebildet, die den Weltmarkt mit Kohle und Stahl, elektrischen Maschinen und Chemieprodukten belieferten: Stinnes und Krupp, Siemens und AEG sowie die IG Farben waren die Bedeutendsten davon.

Einflussreiche Kapitalisten, Generäle der Wehrmacht und führende Politiker forderten nun für das Deutsche Reich einen „Platz an der Sonne“. Damit war gemeint, dass Deutschland auch militärisch eine Weltmacht werden und wie England und Frankreich Kolonien erobern sollte. „Weltpolitik als Aufgabe, Weltmacht als Ziel, Flotte als Instrument“ war die Losung der kaiserlichen Regierung.

Seit 1898 wurde die Flotte aufgerüstet, um England die Vorherrschaft auf See streitig zu machen. Gemeinsam mit dem Verbündeten Österreich-Ungarn suchte das Deutsche Reich einen Anlass, gegen die konkurrierenden Mächte Frankreich, Russland und England einen Krieg zu beginnen.

Der ergab sich, als am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger in Sarajewo ermordet wurde. Nach kurzer Vorbereitungszeit erklärte Österreich-Ungarn am 28. Juli 1914 Serbien den Krieg und Deutschland folgte mit seinen Kriegserklärungen gegen Russland am 1. August und gegen Frankreich wiederum zwei Tage später. Auch England und die Türkei griffen noch im Jahr 1914 in den Krieg ein.

Die Arbeiterbewegung vergisst ihren Antimilitarismus

Die Arbeiterbewegung war von Anfang an international ausgerichtet. „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ lautete bereits der Aufruf im Kommunistischen Manifest von 1848. Das Ziel war die weltweite Verbrüderung der Arbeiter gegen die Kapitalisten. Gemeinsam feierte man seit 1890 den 1. Mai als Tag der Arbeit. Delegierte der sozialistischen Parteien trafen sich auf internationalen Sozialistenkongressen und forderten, die Arbeiter und vor allem die Jugend über die Hintergründe von Rüstung und Krieg aufzuklären.

Noch im November 1912, als sich die Hinweise auf den kommenden Krieg verdichteten, beschlossen die sozialistischen Parteien auf ihrem internationalen Kongress in Basel, jeden Krieg gemeinsam zu bekämpfen. Wenige Tage vor Beginn des Weltkrieges, also Ende Juli 1914, fanden in vielen Ländern Antikriegsdemonstrationen statt, so auch in Deutschland. Am 28. Juli demonstrierten nach einem Aufruf der SPD in vielen großen Städten trotz des Verbots der Regierung hunderttausende Menschen.

Zu Kriegsbeginn gab es in Deutschland auch jubelnde Menschen, aber das waren nicht die Arbeiter, sondern die oberen Schichten der Bevölkerung, meistens angestoßen durch Studenten oder den Jungdeutschlandbund. Die vielen anderen Menschen, die sich auf den Straßen versammelten, warteten gespannt auf die Extrablätter der Zeitungen. Diese waren die einzige Möglichkeit, sich zu informieren, weil es noch kein Radio oder Fernsehen in den Wohnungen gab. Als der Kriegsbeginn bekannt gegeben wurde, gingen die meisten bedrückt nach Hause.

Trotzdem meldeten sich junge Männer aus der Arbeiterschaft freiwillig zum Kriegsdienst. Viele von ihnen taten das deshalb, weil sie sich in diesem Fall die Waffengattung aussuchen konnten und sich natürlich für diejenigen Teile der Wehrmacht entschieden, in denen die Gefahr, um's Leben zu kommen, nicht so groß war.

Truppen in Hamburg 1918Im Reichstag stimmten auch die Abgeordneten der SPD-Fraktion für die Kriegskredite, welche die Regierung zur Finanzierung ihres Feldzugs brauchte. Ebenso wurden mit Zustimmung der SPD Notgesetze verabschiedet, die unter anderem alle Jugendschutzbestimmungen für die Zeit des Krieges außer Kraft setzten. „In der Stunde der Gefahr“ wollten die Sozialdemokraten ihr Vaterland verteidigen helfen. Am 27. September 1914 erklärte der Parteiausschuss den „Burgfrieden“. Das bedeutete, dass die SPD ihren Kampf gegen die Regierung für die Dauer des Krieges beenden wollte. Bereits am 2. August hatte die Gewerkschaftsbewegung beschlossen, alle Lohnkämpfe einzustellen.

Auch Ludwig Frank, der einst gegen den Militarismus gekämpft hatte, änderte nun seine Meinung. „Wir ‚vaterlandlosen Gesellen‘ wissen aber, ... dass wir unser Vaterland gegen die Reaktion erkämpfen müssen. Wenn ein Krieg ausbricht, so werden also auch die sozialdemokratischen Abgeordneten gewissenhaft ihre Pflicht erfüllen müssen“, äußerte er bereits vor Beginn des Krieges. Er war der einzige Reichstagsabgeordnete, der sich freiwillig zum Krieg meldete. Bereits am 3. September 1914 starb Frank in Frankreich.

 

Warum unterstützte die Arbeiterbewegung den Krieg?

Zwei Gründe gab es für den Meinungsumschwung:

Erstens gab es bereits seit 1907 eine Studie des militärischen Generalstabes, wie im Kriegsfall die SPD und Gewerkschaft zerschlagen werden sollte. Dazu wollte man Vereine und Versammlungen verbieten. Die Führer der Bewegung und die Redakteure der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Zeitungen sollten verhaftet werden. Dazu wurden bereits Verhaftungslisten und Einsatzpläne angefertigt. Erst am 25.07.1914 erließ der preußische Kriegsminister neue Richtlinien, in denen er ein vorsichtigeres Vorgehen empfahl. Vereine sollten nur aufgelöst werden, „wie es zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung erforderlich erscheint“, vor allem, wenn „deren Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen oder den Interessen der Kriegsführung zuwiderläuft“. Damit blieb die Drohung bestehen, die Sozialdemokratie mit allen Mitteln, auch militärischen, zu zerschlagen. Welche Maßnahmen eingesetzt werden sollten, war vom Verhalten der Partei abhängig. Die SPD selbst rechnete mit ihrem Verbot und brachte die Parteikasse vorsichtshalber in die Schweiz.

Der zweite Grund war die Angst vor dem zaristischen Russland. Russland war im Vergleich zu Deutschland unterentwickelt. Erst 1905 wurde das erste Parlament eingerichtet. Die russische Arbeiterbewegung konnte zuvor nur illegal arbeiten und war schwach organisiert. Deswegen rechnete die SPD bei einem Sieg Russlands mit einem herben Rückschlag für die deutsche Arbeiterbewegung.


 

Die Reaktion der „Zentralstelle für die arbeitende Jugend“

Von der Gegnerschaft zur Kriegstreiberei

Die Arbeiterjugendvereine hatten seit ihrem Bestehen gegen Militarismus gekämpft. Die Jugendlichen in den Vereinen wussten, dass sie im Krieg für die  Interessen des Adels und des Kapitals kämpfen und sterben würden. Neben Ludwig Frank als Gründer war es vor allem Karl Liebknecht, der die Jugendlichen mit Vorträgen und seiner 1907 erschienenen Schrift „Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung“ beeinflusst hatte. Während Frank im August 1914 freiwillig in den Krieg zog, wurde Liebknecht zur führenden Figur der Antikriegsbewegung in Deutschland.

Weil die „Zentralstelle für die arbeitende Jugend“ aus den leitenden Funktionären der Gewerkschaften und der SPD bestand, konnte sie keine andere Haltung zum Krieg einnehmen als diese beiden Organisationen. Sie musste nun den Jugendlichen erklären, warum sie den Krieg unterstützte.

Politische Situation

Im Deutschen Kaiserreich herrschte der Belagerungszustand. Die Militärbefehlshaber erhielten eine außerordentliche Machtfülle. Sie waren in ihrem Handeln allein dem Kaiser verantwortlich und konnten den Verwaltungs- und Gemeindebehörden Weisungen geben. Das Reich war in 26 stellvertretende Generalkommandos der jeweiligen Armee-Korps aufgeteilt, die in ihrem Gebiet die Befehlsgewalt hatten, dazu kamen die Gouverneure größerer Festungen sowie die Festungskommandanten.

Jeder Kommandant konnte nach eigenem Belieben in alle Bereiche des politischen Lebens eingreifen und dabei nicht nur die Versammlungen von Jugendausschüssen und Jugendvereinen durch Auflagen erschweren, sondern sie auch generell verbieten, Organisationen auflösen und Zeitungen sowie Flugblätter zensieren oder verbieten.

Am 15. August 1914 veröffentlichte die „Arbeiter-Jugend“ einen Aufruf der Zentralstelle zum Krieg. Es wurde keine eindeutige Stellung für oder gegen den Feldzug bezogen. Stattdessen ging es darum, die Ideale der Jugendbewegung, die „Erziehung zu Menschlichkeit und Menschenwürde“ zu bewahren. „Ihr seid der Fels, auf dem sich der Bau der kommenden Gesellschaft erheben soll, ihr die Hoffnung und Zukunft der Arbeiterklasse. Die Botschaft der Menschenliebe und des Völkerglücks sollt ihr durch Not und Grauen in die Zukunft tragen...“. Man rief auf, sich an Hilfsdiensten zu beteiligen und bei der Einbringung der Ernte zu helfen.

Zwei Ausgaben und einen Monat später, am 12. September 1914, unterstützte die „Arbeiter- Jugend“ den Krieg bereits: „Gewiss, wenn es gilt, das Vaterland, den Heimatboden unserer Bildung und Arbeit zu verteidigen, eilt der Proletarier an die Grenze wie der Bürger und der Prinz gibt seinen letzten Blutstropfen wie der Bettler“. Wieder eine Ausgabe später pries der Redakteur das Verhalten des gefallenen Freiwilligen Ludwig Frank in einem Nachruf: „Mit einem Wort: er war ein Mann ... Junge voran! Das Leben - selbst ein so freudiges Kämpferleben wie das Ludwig Franks - ist der Güter höchstes nicht. Das höchste Gut des Menschen aber ist die Tat!“ Selbst deutsche Kriegsverbrechen in Belgien wurden in der AJ gerechtfertigt. „Die Herzen der Jugend sind immer da, wo ein Held gegen Tod und Teufel kämpft“ schrieb die AJ am 2. Januar 1915 und meinte mit Teufel nicht die Kapitalisten, sondern französische und russische Soldaten.

Anfangs war man der Meinung, der Krieg werde schnell vorbei sein. Die Zentralstelle passte sich der herrschenden Meinung an und versuchte so, die Organisation über diese Zeit zu retten.

Sie wollte die Jugendlichen aus aller Politik heraushalten, um die Vereine und die Jugendausschüsse nicht zu gefährden. Selbst die Angriffe der „Arbeiter-Jugend“ gegen Handwerker und Industriebetriebe sowie gegen die gegnerischen Jugendorganisationen hörten nun auf.

Die Jugendwehr

In einem Punkt widersetzte sich die „Zentralstelle für die arbeitende Jugend“ dem Kriegskurs. In Junge in Jugendwehruniform 1914Deutschland sollte eine freiwillige Jugendwehr eingeführt werden, um vor allem die Arbeiterjugend ab 16 Jahren auf den Krieg vorzubereiten. Neben militärischen Hilfs- und Arbeitsdiensten war ein theoretischer Unterricht geplant. Dieser sollte die Hingabe der Arbeiterjugendlichen „für das Vaterland, für Kaiser und Reich entflammen... Vor allen Dingen aber ist auf die Herzen der Jugend durch Erzählung von Großtaten der Väter einzuwirken, durch Mitteilung von Kriegsnachrichten der Zorn gegen den Feind zu entfachen...“.

Das ging der Mehrheit der Zentralstelle einschließlich des Vorsitzenden, Friedrich Ebert, zu weit. Solche nationalistische Schulung wäre der Bildungsarbeit der Jugendausschüsse genau entgegengesetzt gewesen. Deswegen beschloss man auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem SPD-Vorstand, sich nicht an der Jugendwehr zu beteiligen und informierte die Parteigliederungen und Jugendausschüsse darüber. Damit wurde die Jugendwehr ein Fehlschlag.

Die Situation der Arbeiterjugendlichen im Krieg

Die Arbeitssituation

Mit Kriegsbeginn wurde die deutsche Wirtschaft umgestellt auf die Produktion für den Krieg. Ab dem Frühjahr 1915 stieg der Bedarf an Arbeitskräften in der Industrie. Immer mehr Frauen und Jugendliche wurden angeworben.

Gleichzeitig ging die Zahl der Lehrlinge gewaltig zurück. Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse sank um etwa drei Viertel. Das lag zum einen daran, dass viele Meister zum Kriegsdienst eingezogen wurden und damit die Lehrstellen wegfielen. Zum anderen waren viele Väter im Krieg und die Jugendlichen waren gezwungen, etwas zum Unterhalt ihrer Familie beizutragen. Sie gingen in die Industrie, weil die Löhne dort höher waren. Sie verdienten jedoch deutlich weniger als die Erwachsenen. Der Mangel an Lehrlingen verschärfte wiederum die Ausbeutung in den Handwerksbetrieben.

In der Industrie musste unter Bedingungen gearbeitet werden, wie es sie schon lange nicht mehr gegeben hatte. Die meisten Jugendlichen wurden als Hilfsarbeiter eingesetzt. Die Jugendarbeitsschutzbestimmungen waren zu Kriegsbeginn vom Reichstag aufgehoben worden. Die Arbeitszeit stieg auf 10,5 bis 12 Stunden täglich. Viele mussten Schichtarbeit leisten.

Auch Arbeitsunfälle nahmen stark zu. Viele Jugendliche fielen der Tuberkulose und Infektionskrankheiten wie der Grippe zum Opfer. Selbst die Militärbefehlshaber mussten im Juni 1918 feststellen: „Der Gesundheitszustand der Arbeiterinnen hat sich wesentlich verschlechtert. ... Vor allem bei ... jungen Mädchen bleiben die Folgen der Nacht- und Überarbeit nicht aus.“

Die Lebensmittelversorgung

Ab Februar 1915 wurden die Lebensmittel rationiert. Die offiziellen Rationen reichten nicht zum Leben. Der Winter 1916/17 war besonders hart: Die Kartoffelernte war um die Hälfte schlechter ausgefallen als gewöhnlich. Als Ersatz für das Grundnahrungsmittel wurden Kohl- oder Steckrüben ausgegeben. Etwa 750.000 Menschen starben in diesem Hungerwinter. Die Regierung rief zum Durchhalten auf. Auch die Getreideernte 1917 fiel katastrophal aus, weil landwirtschaftliche Arbeitskräfte, Kunstdünger und Zugtiere fehlten. Im Sommer 1917 hatten die zugeteilten Lebensmittel durchschnittlich 1.000 Kalorien. Das Reichsgesundheitsamt hatte hingegen einen täglichen Bedarf von 2.280 Kalorien errechnet. In den Städten war die Bevölkerung vom Hunger am stärksten betroffen, weil es keine Möglichkeit gab, eigene Lebensmittel anzubauen. Schleichhandel und Wuchergeschäfte blühten. Während hunderttausende Menschen in den Kriegsjahren an Hunger und Unterernährung starben, wurden "Kriegsgewinnler" mit schnell verdientem Geld reich.

Der Widerstand der sozialistischen Arbeiterjugend gegen den Krieg

Seit Beginn des Krieges gab es innerhalb der Arbeiterjugendbewegung Gruppen, die ihren Überzeugungen treu blieben und gegen den Krieg eintraten. Sie veranstalteten Demonstrationen und Flugblattaktionen. Auf Abschiedsfeiern für einberufene Genossen und Trauerfeiern für Gefallene bezeugten sie ihren Widerstand gegen den Krieg. Sie sahen sich bestätigt, als Karl Liebknecht im Dezember 1914 als einziger Abgeordneter im Reichstag gegen die weitere Finanzierung des Krieges stimmte. „Die Arbeit unserer Jugend bekam wieder Sinn. Jedes Wort war für uns eine Verheißung, gab uns neuen Mut und Kraft zum Kampf“, so die Dresdener Jugendliche Elisabeth Lynhard.

Die Jugendinternationale und die Berner Konferenz

Unterstützung für die Kriegsgegner kam aus dem Ausland. Schon im August 1907 hatten sich Delegierte von Jugendorganisationen aus 13 Ländern in Stuttgart getroffen und die Sozialistische Jugendinternationale gegründet. Dieser Zusammenschluss diente dazu, Informationen auszutauschen und gemeinsame Haltungen zu entwickeln. Zu Beginn des Krieges zerbrach die Jugendinternationale. Ihr Sitz war in Wien, und das Büro konnte keinen Kontakt mehr zu den Jugendorganisationen aus Frankreich, Italien oder England aufrecht erhalten, weil diese Länder nun mit Österreich verfeindet waren. Der Sekretär Robert Danneberg schrieb also einen Zettel „Wegen des Weltkrieges bleibt das Büro vorübergehend geschlossen“, klebte ihn an die Bürotür und ging nach Hause.

JugendinternationaleIn dieser Situation wurde in der Schweiz Willi Münzenberg aktiv. Er stammte aus Erfurt, war 1910 in die Schweiz ausgewandert und hatte sich dort der Sozialistischen Jugend angeschlossen.

Sein Ziel war, die Jugendorganisationen im Kampf gegen den Krieg wieder zusammenzuführen. Dazu berief er eine internationale Konferenz ein, die vom 4. bis 6. April 1915 in Bern stattfand. Es kamen Delegierte aus 14 Ländern, die hier auf Jugendliche trafen, die in ihren Heimatländern als Feinde galten. Zwar hatte die deutsche Zentralstelle für die arbeitende Jugend abgesagt, aber trotzdem waren drei Jugendliche aus Deutschland angereist. Die Konferenz wandte sich gegen den Krieg und beschloss, „...die jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen aller Länder über die Ursachen des Krieges und des Militarismus als unvermeidliche Begleiterscheinungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung noch viel intensiver als bisher aufzuklären, sie im Geiste des internationalen Klassenkampfes zu erziehen und sie so immer fester und zahlreicher um das Banner des revolutionären Sozialismus zu scharen.“

Die Delegierten gründeten eine neue internationale Organisation und wählten Willi Münzenberg zu ihrem Sekretär. Münzenberg versorgte die sozialistischen Jugendorganisationen mit antimilitaristischen Flugblättern und Broschüren und gab die Zeitschrift „Jugend-Internationale“ heraus, die Artikel von Kriegsgegnern aus der Arbeiterbewegung veröffentlichte. Am 3. Oktober 1915 fand in vielen Ländern Europas der erste internationale Jugendtag statt. Auf gleichzeitigen Veranstaltungen beteiligten sich rund 120.000 Personen an Antikriegskundgebungen.

Der Zusammenschluss der oppositionellen Gruppen

In Deutschland kam es 1915 zu einzelnen Demonstrationen gegen den Krieg, an denen Gruppen der Arbeiterjugend beteiligt waren. Am 1. Mai trafen sich in Berlin 1.000 Jugendliche zu einer illegalen Maifeier. Um die Jahreswende 1915/1916 wurden Forderungen und Resolutionen gegen den Krieg, aber auch gegen die Politik der SPD und der Zentralstelle laut. Im März 1916 wurden in Berlin und Hamburg neue Jugendorganisationen gegründet, die sich gegen den
Kriegskurs der Zentralstelle wandten. Vor allem in Berlin, Stuttgart, Frankfurt und Hamburg fielen die Aktionen der oppositionellen Jugend auf. Im April 1916 trafen sich sechzig jugendliche Vertreterinnen und Vertreter der Antikriegsgruppen in Jena, um ihre Arbeit aufeinander abzustimmen. Die Delegierten wollten mit der „Zentralstelle für die arbeitende Jugend“ und ihrer Kriegsunterstützung nichts mehr zu tun haben. Sie stellten fest, dass die Abhängigkeit von SPD und Gewerkschaften ein schwerer Nachteil für die Jugendbewegung war und die „rücksichtslose und vollkommene Selbständigkeit“ der Jugendorganisation nötig sei, um politisch eigenständig arbeiten zu können.

Nach dieser Konferenz nahm die Bewegung einen eindrucksvollen Aufschwung. Ein Netz von Antikriegsgruppen wurde aufgezogen, das 30 Orte umfasste.  Die Jugendlichen veranstalteten Demonstrationen und gaben Flugblätter oder Zeitungen heraus. In Hamburg führten die Mitglieder der „Freien Jugendorganisation“ am 18. August 1916 eine große Friedensdemonstration mit etwa 2.000 Teilnehmern durch. Daneben übernahmen die Gruppen das ganze Spektrum der Aktivitäten, das die Arbeiterjugendbewegung schon vor dem Krieg kannte: Vorträge, Lesungen, Wanderungen, Unterhaltungs- und Gesangsabende und Spiele im Freien. In den Jahren 1916 und 1917 wuchs die linke Arbeiterjugendbewegung auf rund 25.000 Mitglieder an.

Die Spaltung der SPD

Innerhalb der SPD stellten immer mehr Funktionäre fest, dass die Behauptung von Regierung und Militär, Deutschland müsse sich gegen seine Feinde verteidigen, eine Lüge war. Sie wollten den Eroberungskrieg nicht länger unterstützen. Während im Dezember 1914 nur Karl Liebknecht die Kriegskredite im Reichstag abgelehnt hatte, stimmten im Dezember 1915 bereits 20 Abgeordnete dagegen. Wichtige Vordenker der Partei wie Eduard Bernstein, Karl Kautsky, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Klara Zetkin und Hugo Haase, einer der beiden Parteivorsitzenden, unterstützten diese Linie.

Die Abgeordneten wurden am 24. März 1916 aus der Reichstagsfraktion und am 17. Januar 1917 aus der Partei ausgeschlossen. Daraufhin gründeten sie mit Gleichgesinnten auf einer Oppositionskonferenz in Gotha am 6. April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) unter dem Vorsitz von Hugo Haase. Zur Unterscheidung wurde die SPD nun zumeist als Mehrheits-SPD (MSPD) bezeichnet.

Mit der Spaltung der SPD zog sich die Gewerkschaft aus den Jugendausschüssen zurück.

Ein Beispiel für erfolgreichen Kampf: die Auseinandersetzung um den Sparzwang

Im Jahr 1916 stellten die Militärbefehlshaber fest, dass viele Jugendliche deutlich mehr Geld als vor dem Krieg verdienten. Das waren diejenigen, die in der kriegswichtigen Produktion beschäftigt waren. Die Befehlshaber wollten einen Teil des Lohnes zur Kriegsfinanzierung nutzen und verhindern, dass die Jugendlichen ihr Geld für Dinge ausgaben, die in ihren Augen unnütz waren. Deshalb sollte nur ein Teil des Lohnes ausbezahlt und der Rest auf ein Sparbuch gelegt werden, von dem der Jugendliche das Geld nur mit Zustimmung des Gemeinderates abheben durfte.

In Braunschweig sollte der Sparzwang zum 1. Mai 1916 eingeführt werden. Mit Demonstrationen und Streiks bekämpften die Arbeiterjugendlichen diesen Lohnraub. Die erwachsenen Gewerkschafter unterstützten sie, weil sie Angst hatten, dass eine ähnliche Regelung für alle Arbeiter eingeführt werden könnte. Der Streik und die Demonstrationen weiteten sich innerhalb weniger Tage aus. Als der Gewerkschaftsvorsitzende dem Militärbefehlshaber mit einem Generalstreik drohte, gab dieser nach und schaffte den Sparzwang wieder ab.

Ähnlich wie in Braunschweig wurden in den anderen Orten, in denen die Gewerkschaften und die SPD hinter den Jugendlichen standen, die Sparzwangerlasse zurückgenommen oder zumindest abgemildert. Wo die Jugendlichen keine Unterstützung durch die Arbeiterbewegung erhielten, waren sie zu schwach und konnten nichts erreichen.

Abspaltung und Zerschlagung

Die Militärbehörden waren von den erfolgreichen Aktionen gegen den Sparerlass und den immer größeren Demonstrationen der Jugendvereine alarmiert. Bereits 1916 wurden einige Gruppen aufgelöst oder einzelnen Personen verboten, sich an Veranstaltungen zu beteiligen. Im Sommer und Herbst 1917 gingen die Befehlshaber verschärft gegen die Jugendbewegung vor: die Führer der Gruppen wurden gezielt zum Militärdienst eingezogen, die Vereine aufgelöst, viele Aktivisten verhaftet und zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.

Die Jugendbewegung war damit entscheidend geschwächt. Sie konnte keine Massenaktionen mehr durchführen. Erst Mitte 1918 konnten mit Unterstützung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei einige Jugendvereine neu aktiviert werden. Diese schlossen sich am 26. und 27. Oktober 1918 auch formal zu einer neuen Organisation, der „Freien Sozialistischen Jugend“ zusammen, in der 4.000 Jugendliche aus 17 Orten vertreten waren - ein Bruchteil der 25.000 jungen Menschen, die zwei Jahre vorher die Bewegung unterstützt hatten.

Die größere Arbeiterjugendbewegung: Arbeit der Zentralstelle

Die „Zentralstelle für die arbeitende Jugend“ durfte den Krieg nicht kritisieren und musste doch die Jugendlichen so weit wie möglich in der Jugendbewegung halten. Sie wies darauf hin, dass die Jugendbewegung nicht die Macht hatte, den Krieg zu beenden. Sie hielt die Jugendlichen aber auch für politisch unreif. Die Politik sollten sie den erwachsenen Führern der Arbeiterbewegung überlassen. Die Funktionäre der Zentralstelle sahen den Zweck der Arbeiterjugendbewegung in einer reinen Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft.

Auf die oppositionellen Jugendlichen reagierte sie extrem heftig. Eine politische Auseinandersetzung über Krieg und Militarismus wollte sie nicht. Stattdessen beschimpfte sie die Kriegsgegner. Die Konferenz von Jena im Jahr 1916, bei der sich die Gruppen zusammengeschlossen hatten, wurde als „moralwidriger Missbrauch der Jugend“ bezeichnet. Die Opposition versuche „durch maßlose Beschimpfungen und Verleumdungen die Jugend gegen diejenigen aufzuputschen, zu denen sie bis jetzt mit Vertrauen aufgesehen hat.“

Niedergang und Wandel

Arbeiterjugend in KielMit Kriegsbeginn gab es starke Einbrüche in der bisher so erfolgreichen Arbeit. Weil es keine feste Mitgliedschaften gab, wurde die Anhängerschaft der Jugendbewegung daran gemessen, wieviel Abonnenten die Zeitschrift „Arbeiter-Jugend“ hatte. Deren Zahl sank rasch: waren es im August 1914 noch 108.300 verkaufte Abonnements, sank die Zahl auf 67.000 im April 1915. Zu Ende des Krieges im Oktober 1918 gab es nur noch 28.000 Jugendliche, die die AJ bezogen.

Auch die Zahl der Jugendausschüsse und der selbständigen Vereine vor Ort sank. Am Ende des Krieges waren nur noch ein Viertel übrig. Das lag daran, dass einerseits ein Teil der Jugendlichen aus Protest die Bewegung verließ und dass andererseits ein großer Teil der Funktionäre zum Kriegsdienst eingezogen worden war.

Die Inhalte der Arbeit wandelten sich im Krieg ebenfalls. Weil die Jugendlichen immer weniger Freizeit hatten, suchten sie in erster Linie Unterhaltung und Geselligkeit. Wanderungen und Spiele traten in den Vordergrund, die Bildungsarbeit nahm ab. Wichtig wurde die körperliche Ertüchtigung durch sportliche Veranstaltungen und körperliche Übungen, die zusammen mit den Arbeitersportverbänden durchgeführt wurden.

Viele dieser Formen übernahm die Arbeiterjugend von der bürgerlichen Jugendbewegung. Vor dem Krieg hatte es eine strikte Trennung gegeben, weil die Jugendlichen kaum miteinander in Kontakt gekommen waren. Dies änderte sich nun langsam. Volkslieder und Volkstänze gab es nun auch bei der Arbeiterjugend. Die Jungen trugen nicht mehr Gehrock und Stehkragen, sondern kurze Hosen und Hemden mit offenen Kragen. Bei den Mädchen hielten Kittel und Hängekleider Einzug.

Im Verlauf des Krieges füllten in der Industrie immer mehr Frauen und Mädchen die Lücken auf, die durch den Kriegsdienst der Männer entstanden. Sie kamen dadurch in Kontakt zur Arbeiter- und zur Jugendbewegung. Die Zahl der weiblichen Mitglieder nahm zu, sie stieg bis auf ein Drittel an.

Sozialpolitische Forderungen

Die Diskussion um die fast komplett gescheiterte Jugendwehr zog sich bis 1916 hin. Immer noch drohte ein Reichsgesetz, das die Jugendwehr zur Pflichtveranstaltung gemacht hätte. Die „Zentralstelle für die arbeitende Jugend“ taktierte geschickt. Sie ging auf die Forderung nach militärischer Jugenderziehung ein und verband sie mit so weitgehenden Bedingungen, dass diese bei den Behörden auf absolute Ablehnung stoßen mussten. Dazu ordnete die Zentralstelle die Erziehung zur Wehrhaftigkeit in die allgemeine Jugenderziehung ein. Sie stellte allgemeine schul- und sozialpolitische Forderungen „zugunsten der Mütter, Kinder und Jugendlichen“ auf, die auf alten sozialdemokratischen Vorstellungen beruhten.

Die Zentralstelle forderte „eine allseitige und planmäßige körperliche Erziehung, in deren Dienst Turnunterricht, Schwimmen, Wandern, Sport und Spiel in ausreichender Weise und als Pflichtfächer zu stellen sind“, dazu Arbeitsunterricht. Um den übrigen Schulunterricht nicht zu beeinträchtigen, sollte die Schulzeit bis zum 15. Lebensjahr verlängert werden. Für ältere Jugendliche forderte man einen freien Nachmittag pro Woche für Wandern, Schwimmen, Sport und Spiel sowie zwei Wochen bezahlten Urlaub. Die Einschränkungen des Vereinsgesetzes für Jugendliche sollten entfallen.

Damit nicht genug. Ferner forderte die Zentralstelle Unterstützung für werdende Mütter, Kinderheime und ausreichend nicht-kirchliche Kindergärten mit unentgeltlicher Verpflegung. Für die schulpflichtige Jugend sollte Erwerbsarbeit verboten werden, auch hier sollte es Kinderheime „weltlichen Charakters in der schulfreien Zeit geben und den Kindern sollte kostenlos Verpflegung und Bekleidung zur Verfügung gestellt werden. Für Lehrlinge, junge Arbeiterinnen und Arbeiter wurde der Sechs-Stunden-Tag und eine ärztliche Überwachung der Arbeitsstätten gefordert. Auch für dieses Alter sollte es Jugendheime geben.

Diese Forderungen wurden von der Regierung natürlich nicht erfüllt. Sie zeigten deutlich, welche Ziele die Sozialdemokraten für die Jugend verfolgten.

Staatliche Förderung der Jugendausschüsse

Die Zentralstelle übte keinerlei Kritik am Krieg mehr. Das hatte den Erfolg, nicht mehr von den Behörden verfolgt und unterdrückt zu werden.

1911 hatte der Staat die Jugendpflege als Kampfmittel gegen die Arbeiterjugendvereine eingeführt und mit Millionen von Reichsmark gefördert. Ab 1915 wurden zum ersten Mal Anträge der Jugendausschüsse auf Unterstützung bewilligt. In einigen Orten und Bezirken erhielten sie Zuschüsse für Kurse sowie Räume für Sport und Versammlungen, ab 1916 auch die gleichen Fahrpreisermäßigungen bei der Eisenbahn wie die bürgerlichen Jugendorganisationen. Der preußische Kultusminister erklärte, die Gründe, die in früheren Jahren zu dem Kampf gegen die sozialistischen Jugendorganisationen geführt hätten, lägen nun nicht mehr vor. Sie hätten in anerkennenswerte Weise während des Krieges soziale Fürsorgearbeit geleistet.

Die Jugendbewegung hatte den Herrschenden gezeigt, dass sie dem Reich nicht mehr gefährlich werden wollte und daher gefördert werden konnte. Damit hatten sie gegenüber dem revolutionären Teil der Arbeiterjugendbewegung zumindest einen finanziellen Vorteil.

Kriegsende

Im Laufe des Krieges liefen immer mehr Jugendliche der „Zentralstelle für die arbeitende Jugend“ weg oder mussten zur Wehrmacht. In einigen ehemaligen Hochburgen der Bewegung wie Berlin, Leipzig, Hannover, Dresden waren alle Jugendlichen zu den oppositionellen Gruppen gegangen.

Die Zentralstelle versuchte in den letzten beiden Kriegsjahren, die sozialdemokratische Jugendbewegung für Jugendliche wieder attraktiver zu machen und ihnen mehr Spielraum für Selbstorganisation zu geben. Sie versuchte, dort wieder Fuß zu fassen, wo sie ihre Jugendorganisationen an die Opposition verloren hatte. Dazu wurden in einigen Städten wie Hamburg, Berlin oder Magdeburg neue selbständige Jugendvereine gegründet. Die kaiserlichen Behörden verfolgten nur noch die unabhängigen Jugendgruppen, die gegen den Krieg kämpften, und ließen die angepassten Vereine weitgehend in Ruhe.

Klar war, dass es in den neuen Vereinen nur um Erziehung, Bildung und Geselligkeit gehen sollte. Die Jugendlichen sollten sich auf keinen Fall an politischen Kämpfen beteiligen oder gar selbständig gegen die Kriegspolitik handeln. Diese Linie legte die Zentralstelle auf einer Bezirksleiterkonferenz am 24. Juni 1917 fest. Um die älteren und oft politisch radikaleren jungen Leute aus der Organisation zu halten, wurde die Altersgrenze auf 18 Jahre festgelegt.

Trotz dieser Neugründungen hatte die Jugendbewegung der Mehrheits-SPD am Kriegsende nur noch ein Viertel ihrer Stärke vor dem Krieg. Auch die linke Jugendbewegung war nur noch ein klägliches Überbleibsel ihrer früheren Bedeutung.