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Mein Weg zu den Falken: Die Welt verstehen, Gegenwelt erfahren, politisch Handeln

Wolfgang klvon Wolfgang Anlauft

Meine Erzählung beginnt vor rund 45 Jahren. Im März 1971 trat ich im Alter von 12 Jahren dem Ortsverband Hof der Falken bei und bin noch heute froh darüber, die Arbeit der Falken in sehr unterschiedlichen Funktionen - als Mitglied von Kinder- und Jugendgruppen, als Gruppenhelfer sowie als Orts-, Bezirks- und Landesvorsitzender - bis in die Mitte der 80iger Jahre mitgestalten zu können.

1971 sind noch immer die unmittelbaren Ausläufer der Studentenbewegung zu spüren. In Folge dessen wurden grundlegende ökonomische, politische, soziale und kulturelle Veränderungen in Deutschland und in der Welt angemahnt. Zwei Jahre zuvor (1969) kam es zu der ersten sozialdemokratisch geführten Regierung unter Willy Brandt als Bundeskanzler. Viele aus meiner Generation erlebten diese Entwicklung als Gegenprojekt zu den autoritären Strukturen konservativer Herrschaft der Nachkriegszeit und daher als ein gesellschaftlicher Aufbruch für eine umfassende Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.

1971 nahm ich zum ersten Mal an einem Falkenzeltlager teil. Es fand statt in Döbriach am Millstätter See in Kärnten. Drei Dinge blieben mir aus diesem Zeltlager in Erinnerung.

1.      Kinder waren nicht Untergegebene der Erwachsenen, sondern wurden als eigenständige Persönlichkeiten behandelt. Sie wurden entsprechend ihrem Alter und ihren Fähigkeiten an der Organisation und Gestaltung des Zeltlagerlebens beteiligt. Beteiligung und Partizipation waren von jeher wesentliche und selbstverständliche Grundlagen einer emanzipatorischen Erziehung, wie ich sie bei den Falken erleben konnte. Damit unterschieden sich die Falken erheblich von autoritären Erziehungsmethoden, wie sie zum damaligen Zeitpunkt in vielen Familien, Schulen und anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen der Fall waren.

2.      Falkengruppen bestanden immer aus Mädchen und Jungen. Es gab keine Geschlechtertrennung. Verknüpft wurde dies durch die Anforderung zum gleichberechtigten Umgang zwischen Jungen und Mädchen und zur politischen Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Familie, Schule, Beruf und Gesellschaft. Auch hier verstand sich Falkenarbeit als Gegenerziehung zu einer patriarchalischen Gesellschaft, in der insbesondere Mädchen und Frauen aus Arbeiterfamilien rechtlich, sozial, wirtschaftlich und gesellschaftlich systematisch benachteiligt wurden und auch heute noch werden.

3.      Im Zeltlager hatte ich als 12jähriger zum ersten Mal die Möglichkeit, mit Kindern und Jugendlichen anderer Länder in Kontakt zu kommen. In beeindruckenden Veranstaltungen wurde die Rassendiskriminierung in den USA angeprangert und die Prinzipien der amerikanischen Bürgerbewegung als wichtige Orientierungspunkte gesetzt. Der Internationalismus der Falken verstand sich dabei immer als Gegenprojekt zu noch längst nicht verblassten Sehsüchten nationalistischer Großherrschaft, wie wir sie in der Nachkriegszeit häufig und auch heute immer noch erleben.

Es dauerte einige Jahre bis ich begriff, dass diese Erfahrungen nicht zufällig, sondern grundlegender und selbstverständlicher Bestandteil der politischen Bildungs- und Erziehungsarbeit der Falken waren. Kinder- und Jugendliche sollten in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden. Nur starke Persönlichkeiten sind in der Lage, im solidarischen Handeln mit Gleichgesinnten ihrer Klasse, gesellschaftliche Veränderungen für eine soziale, gerechte und demokratische Gesellschaft voranzutreiben.

Erfahrungen aus dem Zeltlager 1971 führten meinerseits zum festen Entschluss. Hier bist du und hier bleibst du.

Befördert durch die gesellschaftliche Umbruchstimmung kam es 1973 zu einer deutlichen Veränderung in der Falkenarbeit. Auf der Gelsenkirchener Konferenz wurde ein neuer Bundesvorstand, mit Konrad Gilges an der Spitze, gewählt.

Der neue Bundesvorstand strebte eine stärkere Politisierung der Kinder- und Jugendarbeit an. Falkenarbeit sollte sich den Vorstellungen des neuen Vorstandes zu Folge als ein erzieherischer und politischer Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft verstehen. Durch Jahresprogramme erhielten die Aktivitäten der örtlichen Kinder- und Jugendgruppen erhebliche Impulse.

Im Mittelpunkt der Kinder- und Jugendarbeit der 70iger bis Mitte der 80iger Jahre standen insbesondere:

1.      Die Auseinandersetzung mit den Folgen der wirtschaftlichen Krisen Mitte der 70iger und Anfang der 80iger Jahre. Besonders stark engagierten sich die Hofer Falken zum damaligen Zeitpunkt für eine grundlegende Reform der beruflichen Bildung („wer nicht ausbildet muss zahlen“) und wirksamen Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.

2.      Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Lage von Kindern aus Arbeiterfamilien in Freizeit, Wohnen, Schule u.ä.. Stellvertretend sei hier nur auf die Veranstaltungen der Hofer Falken zum Tag des Kindes Mitte der 70iger Jahre hingewiesen. Gegenstand waren Forderungen nach deutlichen Verbesserungen der Spielplatz- und Freizeitsituation von Kindern.

3.      Der Kampf gegen Atomkraftwerke und gegen die geplante Stationierung von Atomwaffen durch die Amerikaner in Deutschland gehörten ebenfalls zum wesentlichen Bestandteil der Falkenarbeit im Allgemeinen und der Hofer Falken im Speziellen. So beteiligten sich die Hofer Falken an bundesweiten Demonstrationen und organisierten ein großes Pfingstzeltlager gegen die geplante Atommülldeponie in Mitterteich.

4.      Wesentliches Merkmal der Falkenarbeit war auch die Unterstützung von politischen Reform- und Befreiungsbewegungen in Mittel- und Südamerika und in Afrika. Herausragend für die Arbeit der Hofer Falken war eine Demonstration anlässlich des zweiten Jahrestages des Putsches der faschistischen Militärjunta 1973 in Chile. Für die Falkenarbeit war dieses Thema sehr wichtig. Am Beispiel von Chile konnte studiert werden, wie das Militär, bedrängt vom internationalen Kapital und unterstützt durch die US-Regierung eine demokratisch gewählte Regierung beseitigt, wenn sie eine Politik zu Lasten der Interessen der Herrschenden betreibt.

Diese und ähnliche Themen wurden in kreativer Form in die Gruppenarbeit eingebracht und umgesetzt. Dabei wurde mit verschiedenen kulturellen Ausdrucksformen, wie z.B. Theaterarbeit, Songgruppen, Aktionstheater, Videofilmen, u.ä. versucht, politische Inhalte mit ansprechenden Methoden zu verbinden.

Die Arbeit der Hofer Falken war in den 70iger Jahren äußerst lebendig und erfreute sich eines regen Zulaufes. In Spitzenzeiten erreichten wir über 200 Mitglieder. Damit war der Ortsverband Hof mit Abstand der größte Ortsverband in Oberfranken, vielleicht sogar im Landesverband Bayern.

Die Entwicklung der Hofer Falken wäre nicht vorstellbar ohne das ehrenamtliche Engagement zahlreicher Gruppenleiter, Vorstandsmitglieder und sonstige Unterstützer. An herausragender Stelle möchte ich Herbert Narr erwähnen. Er hat sich lange Jahre in sehr unterschiedlichen Funktionen als Gruppenhelfer, als Vorsitzender des Ortsverbandes sowie auf Bezirks- und Landesebene engagiert.

Nicht nur für mich wird die Geschichte der Hofer Falken für immer mit dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit verbunden sein. Es sind Menschen wie Herbert Narr, die es immer wieder vermochten, Kinder und Jugendliche mit Respekt, Engagement und Erfahrung an die Arbeit der Falken heranzuführen und sie von politischer Arbeit in und für die sozialistische Jugend zu begeistern.

Vorbilder sind gerade für Kinder und Jugendliche wichtig. Vorbilder leben durch ihre Glaubwürdigkeit in persönlichen, wie in politischen Dingen. Herbert Narr war in diesem Sinne ein Glücksfall für mich, für meine persönliche und politische Entwicklung, vor allem aber für die Erfolgsgeschichte der Hofer Falken.

Die Arbeit der Hofer Falken war für mich und viele in meiner Generation ein wichtiger Meilenstein in der persönlichen und politischen Entwicklung.

Drei Dinge sind dafür aus meiner Sicht maßgeblich gewesen:

1.      Die Möglichkeit zur Gegenwelterfahrung im Rahmen von Gruppenarbeit, Freizeit, Zeltlagern und politischen Aktionen. Gegenwelt meint dabei die gesamte Bandbreite von der gemeinsamen Gestaltung von Gruppenfreizeiten, bis hin zum solidarischen und klassenbewussten Handeln in politischen Aktionen.

2.      Falkenarbeit bietet und fördert eine Fülle von Möglichkeiten, die jedes einzelne Mitglied ergreifen kann. Sie ist daher auch ein wichtiges Pfund für die eigene persönliche und politische Entwicklung. Vieles hätte ich in meinem Leben nicht gekonnt, wenn ich nicht so vielschichtige Dinge bei den Falken hätte lernen können. In der Falkenarbeit habe ich wesentliche Werthaltungen für mein Leben entwickelt, mir theoretisches Rüstzeug zur Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse aneignen können und aus Erfolgen und Misserfolgen wichtige Hinweise für erfolgreiches politisches Handeln gelernt

3.      Falkenarbeit war immer dann besonders erfolgreich, wenn sie von Menschen geprägt wurde, die auf ihre Art und Weise persönliche und politische Vorbilder waren und daher eine hohe Glaubwürdigkeit entfalten konnten.

In diesem Sinne habe ich Falkenarbeit erlebt und möchte keine Sekunde davon missen. Ich glaube sehr wohl, dass Falkenarbeit aktuell und auch in Zukunft wichtig und notwendig ist. Falkenarbeit steht dabei nicht für die Organisation als Selbstzweck, sondern für einen politischen Ansatz, der in und durch diese Organisation kontinuierlich weiterentwickelt wurde.


Wolfgang Anlauft, geboren 1959, Mitglied der Hofer Falken seit 1971, war in den 70iger und 80iger Jahren bei den Falken u.a. tätig als Vorsitzender des OV Hofs, des Bezirks Oberfrankens und des Landesverbands Bayern.