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1933 - 1944: Widerstand gegen den Faschismus

Der Weg in die Diktatur

Die Sicherung der Macht

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler. Mit Unterstützung seiner politischen Verbündeten schaffte er Schritt für Schritt die Demokratie ab. Da die Regierung im Reichstag zunächst keine Mehrheit hatten, benötigten sie die Unterstützung des Reichspräsidenten Hindenburg. Dieser setze mit Notverordnungen die Regierungsbeschlüsse in Kraft.

Bereits am 1. Februar wurde auf die Forderung Hitlers der Reichstag aufgelöst. Die NSDAP wollte in den für den 5. März angesetzten Neuwahlen die Mehrheit der Sitze erringen. Anfang Februar schränkte sie die Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die Rechte des Parlaments ein. Die Kommunistische Partei, die zum Generalstreik aufgerufen hatte, wurde brutal verfolgt. Hermann Göring machte als kommissarischer preußischer Innenminister und Chef der Polizei 50.000 Mitglieder der nationalistischen und faschistischen Kampftruppen SA, SS und „Stahlhelm“ zu Hilfspolizisten und rief sie zum „fleißigen Gebrauch der Schusswaffe“ auf.

Hitler - Kanzler des Kapitals

Vor allem Kohle- und Stahlkonzerne hatten den Aufstieg der Nationalsozialisten finanziell unterstützt. Am 19. November 1932 forderten Vertreter der Großindustrie, der Banken und des Großgrundbesitzes den Reichspräsidenten Hindenburg auf, Adolf Hitler zum Reichskanzler zu wählen. Der Bankier Kurt von Schroeder, der den Brief mit unterzeichnete, nannte die Hintergründe: „Als die NSDAP am 6. November 1932 ihren ersten Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend. Ein gemeinsames Interesse der Wirtschaft bestand in der Angst vor dem Bolschewismus und der Hoffnung, dass die Nationalsozialisten - einmal an der Macht - eine beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland herstellen würden. Ein weiteres gemeinsames Interesse war der Wunsch, Hitlers wirtschaftliches Programm in die Tat umzusetzen ...“

Um Hitler einen guten Start zu verschaffen, musste bald gehandelt werden. Die Wirtschaft des Deutschen Reiches begann sich nämlich im letzten Viertel des Jahres 1932 zu erholen. Wenn Hitler die Früchte des Wirtschaftsaufschwung ernten sollte, musste er nun schnell an die Macht kommen. Hindenburg ließ sich überzeugen und ernannte ihn zum Reichskanzler.

Drei Wochen später, am 20. Februar 1933, nahmen 25 Wirtschaftsführer von Banken, Bergbau und Stahlindustrie an einem Geheimtreffen mit Adolf Hitler teil. Sie begrüßten begeistert sein Programm und spendeten 3 Millionen Reichsmark für den laufenden Wahlkampf.

Am 27. Februar 1933 brannte der Reichstag. Die Nazis schoben den Anschlag den Kommunisten in die Schuhe. Noch in der selben Nacht wurden führende Funktionäre der KPD und der SPD verhaftet. Bereits am nächsten Tag ließ die Regierung Präsidenten Hindenburg die „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ unterzeichnen, mit der die Meinungs-, Vereins- und Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt wurden. Unter anderem konnte die sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ nicht mehr erscheinen.

Die Reichstagswahlen am 5. März brachten den Nazis nicht die erhoffte absolute Mehrheit im Reichstag. Aber unbeirrt setzten sie ihren Weg fort. Der nächste Schritt in Richtung einer Führer-Diktatur war das am 23. März verabschiedete "Ermächtigungsgesetz", mit dem die Regierung Gesetze ohne die Zustimmung von Reichstag und Reichsrat verabschieden konnte. Nur die SPD-Abgeordneten stimmten gegen die Selbstentmachtung des Parlaments. Die Abgeordneten der KPD waren bereits verhaftet oder im Untergrund.

Bis Ende April 1933 landeten Tausende von Sozialisten und Kommunisten in den Gefängnissen und den Konzentrationslagern Dachau und Sachsenhausen, die im März 1933 eingerichtet wurden. Hunderte von Nazis-Gegnerinnen und Nazi-Gegnern wurden gezielt ermordet.

Im Mai wurden die Gewerkschaften aufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt, obwohl ihr Vorsitzender der Regierung die Zusammenarbeit angeboten hatte. Am 22. Juni wurden die SPD und alle sozialdemokratischen Organisationen, auch die SAJ und die Kinderfreunde, verboten, soweit dies in den einzelnen Ländern nicht schon vorher geschehen war. Rund fünf Monate nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler hatten die Nationalsozialisten ihre Macht gesichert.

Die Reaktion der Arbeiterbewegung

Die Kommunisten leisteten von Beginn an aktiven Widerstand. Sie riefen zum Generalstreik auf und brachten massenhaft Aufklärungsmaterial unter die Menschen. Sie waren der Meinung, durch entschlossene Aktionen würde es einen Umschwung nach links geben. Auch der Kommunistische Jugendverband druckte und verteilte Flugblättern, transportierte Material und sammelte Mitgliedsbeiträge ein. Diese massenhaften Aktionen erleichterten den Nazis die Verfolgung. Verhaftungen, Verurteilungen zu langen Strafen und Morde waren die Folge.

Anders war das Vorgehen der SPD-Führung. Bis zum Januar 1933 hatten sich die sozialdemokratischen Organisationen nicht auf die Arbeit im Untergrund vorbereitet. Die SPD unterstützte den Generalstreik der Kommunisten nicht, sondern hoffte auf die Wahlen am 5. März, bei denen sie jedoch gegen den Terror und die Propaganda der Nazis keine Chance hatte. Viele Sozialdemokraten wollten diese passive Politik nicht mitmachen und zogen sich aus der Arbeit zurück.

 

Die Gründe für die Passivität der sozialdemokratischen Führung

In der SPD war man nach der Machtübergabe unsicher, wie man auf die Nazis reagieren sollte. Zunächst riefen die Führer der Arbeiterbewegung zum Abwehrkampf auf. Spontane Demonstrationen fanden statt. „Berlin bleibt rot“ schrieb die SPD-Zeitung „Vorwärts“ am 8. Februar. Aber die Illegalität erschien zu riskant, man hatte Angst, dass dann die Organisationen zerschlagen würden. Die Vorstände von SPD, Gewerkschaftsbund und SAJ gingen davon aus, dass ihnen weniger passieren würde, wenn sie sich an die Gesetze hielten. „Gegenüber dieser Regierung der Staatsstreich-Drohung stellt sich die Sozialdemokratie und die ganze „Eiserne Front“ auf den Boden der Verfassung und der Gesetzlichkeit. Sie wird den ersten Schritt von diesem Boden nicht tun“, war in der Parteizeitung „Vorwärts“ zu lesen. Außerdem dachte man, dass die Regierung Hitler genauso wie ihre Vorgänger bald scheitern würde und dann der ganze „Nazi-Spuk“ vorbei wäre.

Die Waffen, die sich das Reichsbanner für die Gegenwehr beschafft hatte, kamen nicht zum Einsatz, sondern wurden meistens freiwillig abgegeben.

Die SAJ zu Beginn der Nazi-Diktatur

Der Vorstand verbietet Gegenwehr

Der Hauptvorstandes der SAJ folgte wieder der Linie der Partei. Er plante, unpolitische Jugendvereine für die 14- bis 17jährigen zu gründen, wenn die Organisation verboten würde. Damit wollte er zumindest einen großen Teil der Mitglieder halten. Die älteren Mitglieder sollten in der Partei aktiv werden, weil man annahm, dass die Nazis diese nicht so einfach verbieten würden. Das war ein ähnlicher Weg, wie ihn die Arbeiterjugendbewegung nach dem Reichsvereinsgesetz 1908 eingeschlagen hatte.

An Widerstand dachte man nicht. Noch am 23. Februar riefen die Vorsitzenden von SAJ, Freier Gewerkschaftsjugend, Jungbanner und Arbeitersport in einer gemeinsamen Erklärung die Jugend auf, nur auf dem Boden der Verfassung zu handeln. Als am 27.2.1933 der Reichstag brannte, trafen die anschließenden Verfolgungen auch die SAJ: ihre Zeitungen durften nicht mehr erscheinen, viele ihrer Heime wurden durchsucht und noch im März wurde in mehreren Bundesländern die Organisation verboten. Die Strategie des Vorstandes ging nicht auf. Die geplanten neuen Vereine konnten nicht gegründet werden und auch die SPD wurde kurze Zeit später verboten.

Viele Funktionäre, Gruppenleiter, Helferinnen und Helfer von SAJ und Kinderfreunden wollten sich mit der Nazi-Herrschaft nicht abfinden. Sie waren enttäuscht und entsetzt von der Kapitulation der Arbeiterbewegung. Eugen Nerdinger aus Augsburg berichtet:

„Wir waren gläubig, waren grimmig entschlossen, zu kämpfen. Kurt Schumacher versicherte uns noch am 2. Februar 1933 im Herrlesaalbau: Wir werden uns wehren, wir werden nicht ruhmlos untergehen!

Und dann sind wir ruhmlos untergegangen. Die Parteispitze war feige, sie unterlag Fehleinschätzungen, lebte in Illusionen, fürchtete die zunehmende Militanz der Basis, und war nicht willens, außerparlamentarische Aktionen zu dulden oder mitzumachen. Die Kluft zwischen dem verselbständigten Funktionärs- und Mandatsträger-Körper und der Basis war unüberbrückbar geworden. Plötzlich erkannten wir, dass der Befehl zum Losschlagen nie kommen würde.“

Ähnlich empfand Sepp Schober aus München:

„Ich war damals ein junger Kerl, ich glaub, ich muss bleich gewesen sein, nicht aus Angst, sondern aus Scham. Unsere Führung hat uns politisch verraten mit ihrem selbstmörderischen „Legal sein“.

Ich hab dann immer gesagt, und wenn wir wenigstens dabei draufgegangen wären! Aber so kläglich, so kläglich kapitulieren, das war, also mir sind die Tränen in den Augen gestanden, das war ein furchtbares Erlebnis. Wir haben uns gefragt, wie dies nur möglich ist, dass eine Führung der Arbeiterschaft so kläglich sich die Macht aus den Händen winden lässt. Das war einfach nicht vorstellbar. Und wenn man durch die Erziehung in der sozialistischen Arbeiterjugend nicht eine solche Überzeugung gehabt hätte, dann wäre es zum Verzweifeln gewesen.“

Spontaner Widerstand in den Ortsgruppen

Wenige Untergliederungen versuchten, sich der Linie des Vorstands zu widersetzen. Dazu gehörte die Berliner SAJ, die sich auf die illegale Arbeit vorbereitet hatte. Ab Februar 1933 bildete sie kleine Gruppen und übte Regeln des illegalen Kampfes ein. Die Leitung übernahm ein Siebener-Ausschuss, der 12.000 Reichsmark auf ein Tarnkonto schaffte. Daraufhin schritten die SPD und der Hauptvorstand der SAJ ein und warfen die Mitglieder dieses Ausschusses aus der SAJ. Das geschah am 11. April 1933, nachdem die Organisation bereits in einigen Bundesländern verboten war. Die Berliner SAJ-Gruppen blieben jedoch trotz des Verbotes aktiv.

In vielen anderen Städten bildeten sich kleine Gruppen aus Mitgliedern der Sozialistischen Arbeiterjugend, Kinderfreunde-Helfern, Reichsbanner und sozialistischen Studenten. Neben rein sozialistischen Gruppen gab es auch welche, in denen Sozialisten und Kommunisten zusammen arbeiteten. Die Mitglieder hielten untereinander Kontakt und leisteten auf die eine oder andere Art Widerstand. Bekannt wurden Gruppen aus Nürnberg, Hamburg, Frankfurt, Magdeburg, Dortmund, Chemnitz, Leipzig, Essen, Köln, München, Bielefeld, Dresden und vielen anderen Orten.

Dieser Widerstand nahm verschiedene Formen an. Zunächst sahen einige Gruppen nicht ein, warum sie sich nicht weiter treffen sollten. Das konnte nicht mehr in den bisherigen Gruppenräumen geschehen. Viele veranstalten beispielsweise Wanderungen, um die alten Genossinnen und Genossen weiter zu treffen, die politische Lage zu diskutieren und sich gegenseitig zu unterstützen.

Bertl Lörcher aus München erläutert:

 „Die Idee damals war nicht so sehr, dass man die Illusion hatte, so mit großer Propaganda gegen die Welle der Nazis was zu tun, sondern die Idee war zunächst überhaupt einmal, die eigenen Leute zusammenzuhalten, Apparate zu schaffen, die dann von sich aus funktionieren, dass die Leute wieder untereinander Kontakt aufnehmen, dass man wieder zusammenkommt.“

 

Falken und Naturfreunde zelten im August 1933 in WulfenManche Gruppen versuchten, möglichst zahlreich in bestehende Organisationen einzutreten oder selbst neue, unverfänglich scheinende Gemeinschaften zu gründen. Das konnten Wanderoder Volkstanzgruppen, Chöre oder Paddelvereine sein. Einige Nürnberger SAJler gründeten einen Wanderverein, die „Albfreunde“, die sich wöchentlich in der Gaststätte „Zum groben Wanderschuh“ traf. Nach zwei Jahren flog die Gruppe auf. Eine SAJ-Gruppe engagierte sich gemeinsam in der „Arbeitsgemeinschaft für Laienspiele der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude“ und konnte sich so weiterhin treffen. Sie trugen auf ihren Sonntagswanderungen immer noch das Blauhemd. Andere trafen sich weiterhin ohne besondere Tarnung. Alle diese Gruppen konnten in der Regel für einige Jahre überleben. Die Mitglieder der Gruppen waren meist noch jung, zwischen 15 und 20 Jahren alt.

Sepp Schober erzählt:

„Pfingsten 1933 haben wir schon unser erstes Treffen von der SAJ Neuhausen organisiert. Da haben wir uns schon wieder getroffen und haben unsere erste illegale Zusammenkunft gemacht.

Man hat also doch gesehen, dass ein Teil der Genossen bei der Stange geblieben ist, trotz diesem furchtbaren Erlebnis. Wir waren so ungefähr 20 Leute, eine ganz schöne Gruppe, muss ich sagen, und diese Leute - das hat sich dann erst nach 1945 herausgestellt - die haben sich immer wieder getroffen, die sind zusammengeblieben, haben zusammengehalten, die ganze Zeit hindurch.“

Die Hamburger Kinderfreunde führten 1933 noch ein illegales Kinderzeltlager mit 300 bis 400 Falken auf der winzigen dänischen Insel Lille Okseø in der Flensburger Förde direkt hinter der deutschen Grenze durch. Sie gaben an, zu Verwandtenbesuchen nach Dänemark zu fahren. Die Helfer, die den Nationalsozialisten bekannt waren, schwammen vom deutschen Förde-Ufer nach Lille Okseø. Das Zeltlagermaterial wurde in vorne verstärkten LKWs geladen. Mit den Autos Falken und Naturfreunde zelten im August 1933 in Wulfen durchbrachen die Fahrer den Schlagbaum an der Grenze und wurden auf der anderen Seite von den dänischen Genossen in Empfang genommen. Am Ende des Lagers fuhren die Falken wieder einzeln nach Hause, die Ausrüstung blieb in Dänemark. Darüber hinaus wurden die gesamten Materialien der Kinderfreunde aus dem von den Nazis besetzten Parteihaus, in dem auch Kinderfreunde und SAJ untergebracht waren, herausgeholt. Einige Helfer gingen auf die Wache zu mit den Worten: „Heil Hitler! Wir sollen alles abholen“. Die Nazis-Wächter wurden überrumpelt und das ganze Material konnte gerettet werden.

Am 16. Juni 1933 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift „Blick in die Zeit“, die vor allem von ehemaligen Funktionären der Kinderfreunde herausgegeben wurde. Bis zu 125.000 Exemplare erschienen wöchentlich. In der Zeitung wurden deutsche und ausländische Pressestimmen veröffentlicht. Über den Versand dieser Zeitschrift konnte die Verbindung zwischen den ehemaligen Helferinnen und Helfern der Kinderfreunde aufrecht erhalten werden. Erst im August 1935 wurde die Zeitschrift verboten.

Der organisierte Kampf gegen die Diktatur

Ein dichtes Netz von sozialistischen Widerstandsgruppen

Im Mai 1933 ging ein Teil des SPD-Vorstandes nach Prag und richtete dort die Auslandsleitung der Partei ein. Diese nannte sich Sopade und begann schnell mit der Herstellung von Zeitungen und Broschüren. Sie ging davon aus, dass mit Aufklärung und Werbung für die Ideen der sozialistischen Bewegung die Arbeiter zum Widerstand gegen die Nazis bewegt werden könnten. Am 18. Juni 1933 erschien die erste Ausgabe der Zeitung „Neuer Vorwärts“ mit dem Titel „Zerbrecht die Ketten! Die Geschlagenen von heute werden die Sieger von morgen sein!“

Die Sopade richtete rund um Deutschland Grenzsekretariate ein, die für bestimmte Regionen des Reiches zuständig waren. Die Grenzsekretäre waren ehemalige SPD-Funktionäre, die sich in den Gebieten auskannten, für die sie zuständig waren und Kontakte zu den dortigen Gruppen hatten. Sie belieferten die Widerstandsgruppen mit Material und sammelten Informationen über die Situation im Deutschen Reich.

So entstand ein dichtes Netz an Gruppen. Ehemalige SAJler waren oft die Aktivsten unter den

Mitgliedern. Jede Gruppe arbeitete so, wie sie es selbst für richtig hielt; niemand hatte sich auf

den Widerstand vorbereitet. In der ersten Zeit wurden vor allem der „Neue Vorwärts“ und

getarnte politische Broschüren verteilt. Unterstützung fanden die Widerstandskreise oft bei den

ehemaligen Mitgliedern der Sozialistischen Arbeiterjugend und der Kinderfreunde, die sich

weiter zu Wanderungen und Fahrten trafen. Unter diesen konnten sie neue Menschen für den

Widerstand anwerben oder bestimmte Aufgaben wie z.B. Kurierdienste erledigen lassen.

Eine der größten Gruppen war der „Rote Stoßtrupp“, den SAJ-Mitglieder, Jungbannerleute und

sozialistische Studenten kurz nach dem Verbot ihrer Organisationen in Berlin bildeten. Er hatte

rund 3.000 Mitglieder, verteilte Flugblätter und den „Neuen Vorwärts“, bemalte Hauswände mit

anti-nazistischen Parolen und versuchte die Bevölkerung über das Wesen der Nazi-Herrschaft

aufzuklären. Er war aktiv bis nach Dresden, Hamburg, Bielefeld, Magdeburg und Halle. Ende

1933 wurde er zerschlagen und viele seiner Mitglieder in Massenprozessen abgeurteilt.

Wie der Rote Stoßtrupp wurden viele Gruppen bereits 1933 und 1934 von der Geheimen

Staatspolizei (Gestapo) entdeckt. Durch unvorsichtiges Taktieren oder nach der Einschleusung

von Spitzeln flogen die ersten Gruppen auf. In Nürnberg lösten Flugblätter, die in einem

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Kleiderspind einer Schreinerwerkstatt versteckt waren, eine große Verhaftungswelle aus. Die

„Mitropa-Gruppe“ wurde durch den Bruder eines Mitglieds verraten. Die Gruppe hatte illegales

Material in Speisewagen der Reichsbahn über die Grenzen befördert. Als die Gestapo genügend

Informationen zusammen hatte, flog die ganze Gruppe auf. 40 Leute wurden auf einen Schlag

verhaftet.

Die Diktatur lässt sich nicht erschüttern

Während die meisten Arbeiter bis Anfang 1933 den Nationalsozialismus ablehnten, gewann er

nach der Machtergreifung immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung. Die Regierung profitierte

vom weltweiten Wirtschaftsaufschwung. Die Arbeitslosigkeit nahm langsam ab, denn immer

mehr Menschen wurden in der Rüstungsindustrie benötigt. Um den Arbeitsmarkt zusätzlich zu

entlasten, wurden sogenannte Ehestandsdarlehen von bis zu 1.000 Reichsmark eingeführt. Mit

dem Erhalt des Geldes verpflichteten sich Frauen, nach der Heirat ihren Beruf aufzugeben. Ganz

im Sinne der nationalsozialistischen Frauenpolitik sollten damit zugleich Eheschließungen

gefördert werden. Dadurch konnten sich die Frauen ganz auf die ihnen zugedachte Rolle als

Mutter und "Erhalterin des Volkes" konzentrieren.

Gleichzeitig hörte der Terror auf den Straßen auf, unter dem die Menschen vor 1933 gelitten

hatten. Diejenigen, die am brutalsten vorgegangen waren, waren nun an der Macht und hatten die

Straßenkämpfe nicht mehr nötig. Die Gegner waren im Konzentrationslager.

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So erreichten die Nazis schon im ersten Jahr ihrer Herrschaft hohe Zustimmung in der

Bevölkerung. Die Strategie der kommunistischen und sozialistischen Widerstandsgruppen, mit

massenhafter Aufklärung diese Herrschaft zu erschüttern, hatte keine Chance. Das erkannte die

Sopade erst viel zu spät, als die ersten Gruppen schon zerschlagen waren. Die Geheime

Staatspolizei war ihnen bereits auf die Spur gekommen. Mit brutalen Verhören und

Haussuchungen ermittelte die Gestapo die Namen und Adressen der Verbindungsleute. In

Bayern wurde so eine Gruppe nach der anderen aufgerollt.

Die letzten sozialistischen Widerstandsgruppen

1936 existierten nur noch wenige Gruppen. Dazu gehörte „Neu Beginnen“. Der Stamm der

Organisation bestand aus ehemaligen SAJ-Mitgliedern. Ihre Strategie war, Informationen über

die Situation in Deutschland, vor allem über die Wirtschaft, zu sammeln und außer Landes zu

schmuggeln. Kleine, voneinander unabhängige Gruppen sollten sich auf den Sturz Hitlers

vorbereiten, um danach wichtige Positionen übernehmen zu können.

„Neu Beginnen“ knüpfte Kontakte zu Betrieben der Schwer- und Grundstoffindustrie und in das

Bürgertum hinein. Zusammen mit der Eisenbahner- und der Internationalen Transportarbeiter-

Föderation konnten die Widerstandskämpfer ein gut funktionierendes Kuriernetz nach Prag

aufbauen, über das sie Material einschleusten und Verfolgte und Informationen an die Sopade

herausschmuggelten. Erst 1935 konnte die Gestapo in das Netz von „Neu Beginnen“ einbrechen.

Aber bis Ende 1938 arbeiteten Gruppen der Organisation weiter, verteilten Material und konnten

während der Olympiade Informationen über die Nazi-Diktatur an ausländische Besucher

weitergeben. Schließlich wurde die Berliner Gruppe von „Neu Beginnen“ zerschlagen.

Entstehung und Strategie von „Neu Beginnen“

Die Gruppe „Neu Beginnen“ arbeitete seit 1929/30 ausgehend von Berlin streng konspirativ. Sie wollte

innerhalb der Arbeiterbewegung für die Einheitsfront zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten

werben. 1933 hatte die Gruppe 100 bis 200 Mitglieder.

Unter dem Pseudonym „Miles“ erschien im Herbst 1933 in der Tschechoslowakei die programmatische

Schrift „Neu Beginnen! Faschismus oder Sozialismus. Als Diskussionsgrundlage der Sozialisten

Deutschlands“. Verfasser war Walter Loewenheim, Gründer, theoretischer Kopf und bis 1934

unangefochtener Führer der Gruppe. Der Titel der Schrift gab der Gruppe den Namen und machte sie im

antifaschistischen Untergrund bekannt.

Der Grenzsekretär der sozialdemokratischen Exilleitung für Südbayern, Waldemar von Knoeringen,

wurde Ende 1933 heimlich Mitglied der Exilorganisation von „Neu Beginnen". Mit ihm zusammen

entwickelten Bebo Wager und Eugen Nerdinger, die aus der SAJ stammenden führenden Köpfe der

„Revolutionären Sozialisten Augsburg“ (RSA), ihr Konzept für den Widerstand.

„Neu Beginnen“ lehnte die Strategie der Sopade ab, massenhaft antifaschistisches Material nach

Deutschland einzuschleusen. „Neu Beginnen“ wollte auf lange Sicht verdeckt arbeiten: Sie plante den

Aufbau einer professionellen Kaderpartei, um in dem Moment die Revolution anzuführen, in der der

Nationalsozialismus Schwächen zeigte oder durch den Krieg zusammenbrach. Das war die Lehre, die

man aus der gescheiterten Revolution von 1918 zog, als die Macht praktisch auf der Straße lag, von den

revolutionären Arbeitern aber nicht ergriffen wurde.

Der Schwerpunkt lag nun in Südbayern und in Österreich, das 1938 dem Deutschen Reich

angegliedert worden war. Zu der Organisation, die sich „Revolutionäre Sozialisten“ (RS) nannte,

gehörten dreizehn Gruppen, die zunächst vom Grenzsekretär Waldemar von Knoeringen geleitet

wurden. Während des Zweiten Weltkrieges, der am 1. September 1939 mit dem Überfall

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Deutschlands auf Polen begann, übernahmen Bebo Wager aus Augsburg und Hermann Frieb aus

München die Führung.

Eugen Nerdinger aus Augsburg berichtet:

„Voraus die Feststellung, dass es unserer Widerstandsgruppe wichtigstes Verdienst war, dass sie

Leitbilder aufgestellt hat und die Kontinuität der SPD während der Verfolgungszeit nicht abreißen

ließ. Sie wurde im Frühsommer 1933 durch Bebo Wager und mich gegründet. Mein Aufgabenkreis

bis 1937 war: Aufbau der Organisation, Entwicklung einer organisatorischen und konspirativen

Methode der illegalen Zusammenarbeit sowie redaktionelle Formulierung und Zusammenfassung

der zu sammelnden Informationen. Die Resultate dieser Arbeit und ihre Prinzipien sind in einem

mehr als 20seitigen Bericht niedergelegt, der als Kleinfilm fotografiert, ins Ausland zu Waldemar von

Knoeringen (WvK) ging. (...)

Nach diesem Plan erfolgte der Aufbau in Augsburg mit über das Stadtgebiet verstreut wohnenden,

sorgfältig ausgewählten Mitgliedern. Dabei waren neben Zuverlässigkeit, Mut und Treue wichtig,

dass sie in verschiedenen Industriewerken arbeiteten oder in der Stadtverwaltung beschäftigt waren.

Es schien mir damals notwendig, einen möglichst umfassenden Informantengürtel in Augsburg zu

schaffen; das war mir damals wichtiger, als agitatorisch tätig zu sein und die unter großem Risiko

aus dem Ausland hereingeholten 50 oder 100 Zeitungen, Klebezettel und Broschüren allgemein

bekannt zu machen, eine Taktik, womit die Parteiführung in Prag noch bis 1934 glaubte, einen

Wandel herbeiführen zu können.

Die aus der Zusammenarbeit mit den Mitgliedern gewonnenen Teilberichte und Informationsinhalte

wurden mosaikhaft zusammengesetzt, verbunden, die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen, und

gingen dann periodisch unter besonderen Vorsichtsmaßregeln über die Grenze in die Hände der

Auslandsleitung. (...)

Schon 1938 versuchte Bebo Wagner, sich Waffen zu verschaffen, wozu ihm vor allem Frieb

behilflich war. Er vermittelte ihm Karabiner, Gewehre, Handfeuerwaffen und Munition. Bebo zeigte

mir einiges und besprach mit mir die Möglichkeit einer gesicherten Einlagerung.

Auch im Landhaus Friebs in Fischen am Ammersee wurde ein Waffenlager angelegt. Schon vorher

wurde ein Plan für gewaltsame Aktionen aufgestellt. Der Aufstandsplan, „Rollkommando“ genannt,

sah folgendes vor: 1. Bildung von bewaffneten Kampfgruppen, 2. Vorbereitung von Sabotageakten

größeren Ausmaßen in Rüstungsbetrieben, 3. genaue Anweisungen für die Kampfgruppen im

Augenblick des Aufstandsbeginns.

1941 sahen die Gruppen den revolutionären Moment gekommen und begannen mit Sabotageaktionen.

Wager warb in der Augsburger Rüstungsfirma MAN Arbeiter an, von denen jedoch

einer ein Spitzel war. Gleichzeitig konnte ein Gestapo-Mann in die Salzburger Gruppe

eindringen. Weil die Gruppen in dieser Phase untereinander in Kontakt standen, wurde die

Organisation der Revolutionären Sozialisten im Jahr 1942 aufgerollt. In Österreich wurden rund

200 Mitglieder verhaftet. Frieb und Wager wurden zum Tode verurteilt und 1943 hingerichtet.

Konsequenzen: Haft und Tod

Niemand konnte vorher abschätzen, wie gefährlich der Widerstand war, weil keiner die Reaktion

der Gestapo voraussagen konnte. So konnte eine belanglose Bemerkung über den Staat zu harten

Strafen führen. Andererseits wurden manchmal Jugendliche, die „auf Fahrt“ verhaftet wurden,

mit einer Ermahnung wieder nach Hause geschickt. Die Aktionen der Gestapo fanden im

rechtlosen Raum statt. Man konnte sich nirgendwo beschweren oder gegen die Behandlung

vorgehen. Längere Aufenthalte in Gestapo-Gefängnissen ohne Rechtsgrundlage waren an der

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Tagesordnung. Waren die „Ermittlungen“

der Geheimen Staatspolizei dann beendet,

übernahmen Sondergerichte die Aburteilung,

bei denen die Grundrechte der Angeklagten

eingeschränkt waren und die Urteile oft

schon vorher feststanden. Wenn die

Widerstandskämpfer ihre Freiheitsstrafen im

Gefängnis verbüßt hatten, kamen sie in der

Regel in ein Konzentrationslager. Nach

Kriegsbeginn wurden auch Todesstrafen für

SAJ-Aktivisten ausgesprochen. Viele

wurden im Krieg zur Bewährungseinheit 999

eingezogen, die überall an den gefährlichen

Stellen der Front als „Feuerwehr“ eingesetzt

wurde.

Letztlich wurden alle Gruppen zerschlagen. Warum riskierten diese Menschen ihr Leben? Über

45 Jahre später sagte Martin Albert aus Nürnberg rückblickend: „Man musste sich melden,

zeigen, dass man da ist, wenn man auch die Nazis damit nicht aus dem Sattel heben konnte.“

Bertl Lörcher aus München begründete seinen Kampf: „Die Zeit in der SAJ, in der

Gewerkschaft, die hat mich geprägt. Wir haben gelesen, gelernt und diskutiert. Ich wäre mir wie

ein Schweinehund vorgekommen, wenn ich diesen einmal eingeschlagenen Weg auch nach der

Machtergreifung der Nazis nicht weitergegangen wäre. Käme ich noch einmal in eine ähnliche

Situation wie 1933, ich könnte nicht anders handeln als damals.“